Ein Blick in das Erbgut des Coronavirus verrät so einiges über Infektionsketten und seine Reise um die Welt: Ein Team um Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) hat genetische Analysen der frühen Phase der Pandemie in Österreich durchgeführt. Darin finden sich auch Anhaltspunkte, wie der Erreger am Jahresbeginn in den Covid-19-Hotspot Ischgl gelangt sein könnte und wohin der Virus-Export dann ging.
Das weitverzweigte Forschungsteam arbeitete in seiner aktuellen Publikation im Fachblatt "Science Translational Medicine" anhand von detaillierten Untersuchungen von Erbgut-Mutationen des Coronavirus nicht nur die Entstehung früher Cluster in Ostösterreich heraus, man widmete sich auch den ersten großen Ausbrüchen hierzulande in Wintersportorten. Im Vergleich mit weltweit gesammelten SARS-CoV-2-Gendaten im Rahmen der "Global Initiative on Sharing All Influenza Data" (GISAID) ging es auch darum, nachzuzeichnen, welche internationalen Verbreitungsrouten sich im Frühjahr etablierten. Das Team analysierte dafür 345 Virus-Proben aus Österreich und 7.666 Proben aus dem GISAID-Netzwerk.
Proben aus dem "Kitzloch"
Über Kollegen wie Dorothee von Laer von der Meduni Innsbruck oder Günther Weiss von der dortigen Uniklinik für Infektiologie gelangten die Forscher an Proben von sehr früh in Österreich nachweislich Covid-19-Infizierten aus Ischgl oder dem Paznauntal in Tirol. Diese Orte haben sich rasch als Infektionsherde mit unrühmlicher internationaler Dimension entpuppt. Darunter sind u.a. auch die "allerfrühesten Proben" aus dem Dunstkreis der Ischgler Bar "Kitzloch".
In Ischgl kursierte demnach am Beginn der Pandemie eine dominante Virus-Variante, der zwischen 80 und 90 Prozent der Proben zugeordnet werden können, sagte Bergthaler. "Wir haben zur gleichen Zeit aber auch dort sehr wohl andere Viren angetroffen." So fand sich etwa eine Variante des sich mit der Zeit leicht verändernden Erregers, die am besten zu einer Probe aus dem Iran passte. "Das zeigt auch, dass der Eintrag des Virus in ganz Österreich sicher sehr oft und wiederholt parallel stattgefunden hat", sagte der Wissenschafter.
Aus den französischen Alpen?
Dann machten sich die Forscher in den internationalen Viren-Daten auf die Suche nach Proben, die gut zu jenen aus Österreich passten. Fündig wurden sie in genetisch gut passenden Proben aus einem Cluster aus den französischen Alpen, der in etwa zwei Wochen vor den ersten Ischgler Fällen auftrat. Das Virus könnte also "unter Umständen" von dort gekommen sein. Allerdings sage eine Ähnlichkeit an sich nichts über die Richtung der Übertragung aus, betonte Bergthaler. Zudem fehlen für diesen Zeitpunkt (Februar und März) Gendaten aus Italien. Darum könne man auch nichts Gesichertes zu einer sehr wahrscheinlichen Übertragungsachse von dort her sagen.
Neben epidemiologischen Daten zeigt sich nun auch in dieser genetischen Studie, dass von Österreichs Skidestinationen aus das Virus vielfach nach Deutschland, Dänemark, Norwegen oder Island exportiert wurde. Im Ischgl-Cluster ist nämlich eine Virusmutation namens "Clade 20C" sehr präsent. Diese könnte man fast wie einen "Absender" von dort sehen - wenn auch nicht als Beweis für den Ursprung dort, sagte Bergthaler.
Von Ischgl nach New York?
Interessant ist, dass diese Variante auch an den Ostküste der USA und vor allem in New York in der frühen Epidemiephase stark präsent war. Theoretisch könnte dieser Corona-Mutant von Ischgl nach New York oder umgekehrt gekommen sein. Hier zeige sich aber ein weiterer internationaler Zusammenhang, der illustriert, wie rasch der weltweite Verkehr einen Erreger an andere Orte bringen kann.
Das belegen auch Statistiken aus Ischgl zu den Herkunftsländern der Gäste dort, die zeigen, wie eine große Anzahl an Gästen aus unterschiedlichsten Ländern sich dort quasi die Klinke in die Hand gaben. "Ischgl ist hier aber sicherlich nicht das einzige Beispiel dafür, und hat es sich auch nicht verdient, jetzt so alleine am Pranger zu stehen", sagte Bergthaler, der mit seinen Kollegen und der AGES weiter daran forscht, welche Virus-Varianten auch jetzt in Österreich kursieren.