Rückblick ins Frühjahr: Sie haben eine Studie zu Herzereignissen im Lockdown im Frühjahr gemacht: Was zeigte sich dabei?
Dirk von Lewinski: Wir haben uns angeschaut, wie viele kardiologische Notfälle – dazu zählten wir Herzinfarkt, Aortenriss oder Lungenembolie – in der Zeit des Lockdowns im Spital behandelt wurden, und verglichen die Zahlen mit denen der Vorjahre. Es zeigte sich: Es kamen um etwa ein Viertel weniger Patienten ins Krankenhaus, doch unter denen, die kamen, war die Sterblichkeit viel höher. Allein bei den Herzinfarkten gab es um 80 Prozent mehr Todesfälle als im Vergleichszeitraum in den Vorjahren. Die Ursache war wahrscheinlich, dass die Patienten den Weg ins Krankenhaus scheuten und deshalb zu spät kamen. Beim Herzinfarkt wissen wir ganz klar: Jede verlorene Minute verschlechtert die Prognose eines Patienten.
Unter Herzpatienten kam es also zu Kollateralschäden durch die Pandemie, da diese den Weg ins Krankenhaus scheuten – aber sie zählen auch zu den gefährdetsten Risikopatienten für eine Covid-19-Erkrankung. Warum ist das so?
Laut den Kriterien gilt fast jeder vierte Mensch in Österreich als Risikopatient – das hängt ab vom Alter, von Erkrankungen wie Bluthochdruck oder ob das Immunsystem unterdrückt ist. Daher ist es auch eine völlig illusorische Vorstellung, dass wir einfach alle Risikopatienten in den Lockdown schicken und der Rest der Gesellschaft lebt seinen Alltag weiter. Wir können ja nicht ein Viertel der Bevölkerung vom Leben ausschließen. Tatsache ist auch, dass wir gesehen haben: Menschen mit Lungenerkrankungen sind weniger gefährdet, schwer an Covid-19 zu erkranken – vor allem Patienten mit Bluthochdruck und Herzerkrankungen haben ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf. Das größte Risiko haben Patienten mit bestehender Herzschwäche, da Kreislauf und Lunge so wenig Reserven haben.
Welcher Mechanismus steckt dahinter?
Erkrankt man an Covid-19, hat man ein erhöhtes Risiko für Thrombosen, also die Bildung von Blutgerinnseln. Diese können in allen Organen Schaden anrichten und zu Schlaganfall und Herzinfarkt führen. Hat man nun bereits eine Herz- oder Gefäßerkrankung, neigt man ohnehin schon zur Bildung von Thrombosen – das Virus erhöht dieses Risiko weiter. Noch wichtiger ist aber, dass Herzpatienten typischerweise eher älter sind und meist schon an mehreren Erkrankungen leiden. Daher haben sie weniger Reserven und sind anfälliger für Komplikationen wie ein Nierenversagen oder eine gefährliche Sepsis.
Zu Beginn der Pandemie gab es Meldungen, dass ACE-Hemmer (Medikamente, die bei Bluthochdruck und Herzschwäche eingesetzt werden) das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, steigern könnten. Was empfehlen Sie Patienten, die solche Medikamente nehmen?
Alle Fachgesellschaften empfehlen, ACE-Hemmer jedenfalls weiter einzunehmen. ACE-Hemmer sind die wichtigsten Medikamente, um das Risiko für ein Herzereignis wie einen Herzinfarkt zu senken, daher ist es so wichtig, dass Patienten ihre Therapie weiter einnehmen.
Wenn sich ein Herzpatient nun mit Covid-19 ansteckt, muss er gleich ins Krankenhaus?
Nein, man muss nicht gleich ins Krankenhaus: Man kann zu Hause bleiben, sollte sich schonen, gesund ernähren, aber auch so gut es geht in Bewegung bleiben, um Thrombosen zu verhindern. Das heißt, dass man nicht nur im Bett liegen sollte, sondern aufstehen und sich im Zimmer bewegen. Kritisch wird es dann, wenn man Atemnot bemerkt: Dann sollte man jedenfalls mit 1450 Kontakt aufnehmen oder gleich die Rettung rufen, wenn es schlimmer wird. Risikopatienten müssen besonders gut in sich hineinhören. Ganz wichtig ist mir aber auch: Bemerkt man an sich Symptome eines Herzinfarkts – also einen Brustschmerz, der ausstrahlt, und Atemnot –, muss man unverzüglich die Rettung rufen! Beim Herzinfarkt geht es um Minuten.