Es ist ein komplett normales Leben, das ich führe.“ Dass Georg Krenn diesen Satz sagt, ist bemerkenswert, weil bei seiner Geburt gar nichts nach einem normalen Leben ausgesehen hat. Als Krenn vor 29 Jahren geboren wurde, gab es viel „Aufregung und Hektik“, das weiß er aus Erzählungen. „Für meine Eltern war das ein Schock, es gab so viele Fragezeichen“, sagt Krenn heute. Der Grund dafür: Georg Krenn kam mit einem „sehr seltenen, sehr komplexen, sehr schweren Herzfehler zur Welt“ – das erklärt Andreas Gamillscheg, Kinderkardiologe am LKH-Universitätsklinikum Graz und Krenns Arzt seit dessen Geburt. Ab dem Moment, als Georg Krenn auf der Welt war, schwebte er in Lebensgefahr.
Univentrikulärer Herzfehler, so lautet der Fachbegriff dafür, was in Georgs Brust nicht stimmte: Anstatt mit zwei Herzkammern, wovon die eine die Lunge und die andere den restlichen Körper mit Blut versorgt, kam Georg mit nur einer Herzkammer zur Welt. „Bis Anfang der 1970er-Jahre war dieser Herzfehler nicht operabel, die Kinder sind einfach verstorben“, erklärt Gamillscheg. Erst seit den 1980er-Jahren gibt es eine spezielle Operationstechnik, die sogenannte Fontan-Operation, durch die das Blut im Herzen so umgeleitet werden kann, dass eine normale Sauerstoffversorgung möglich wird. Bis heute lebt Georg Krenn mit nur einer Herzkammer – dafür musste er schon in frühester Kindheit mehrere schwere Teiloperationen über sich ergehen lassen. „Bei diesen Operationen müssen die Kinder an die Herz-Lungen-Maschine, die Phasen nach den Operationen sind kritisch“, erklärt Gamillscheg.
Kabelsalat am kleinen Körper
Krenn selbst hat daran keine Erinnerung – aber er kennt die Erzählungen der Eltern. „Ich habe meiner Kindergartentante gesagt: ‚Ich gehe jetzt ins Krankenhaus und wenn ich zurückkomme, kann ich mit den anderen Kindern beim Turnen mitlaufen.‘“ Aus dem Krankenhaus hat er seinen Freunden auch einen Brief geschrieben und ihnen vom „Kabelsalat“ erzählt, an dem sein kleiner Körper hing. Die Operationen, so Gamillscheg, sind für die Kinder aber nur die Spitze des Eisbergs: Dazwischen sind immer wieder Herzkatheter-Eingriffe, Ultraschalluntersuchungen oder 24-Stunden-EKGs notwendig.
Georg Krenn erinnert sich trotzdem an eine „ganz normale Kindheit“: „Mir hat nichts gefehlt, ich habe mich immer gut gefühlt. Das meiste an meinem Herzen ist passiert, bevor meine Erinnerung einsetzt.“ Seine Eltern haben ihn nicht in Watte gepackt, sondern ihm eine normale Kindheit – wie sie auch Gamillscheg allen Familien empfiehlt – ermöglicht. Schürfwunden nach Fahrradstürzen und Platzwunden an der Stirn gehörten da dazu.
„Ich merke natürlich, dass meine Leistungsfähigkeit im Vergleich mit anderen eingeschränkt ist“, sagt Krenn – Menschen, die mit so einem Herzfehler leben, haben etwa 70 Prozent der Leistungsfähigkeit eines Gesunden, sagt sein Arzt. Leistungssport war ausgeschlossen, beim Turnen in der Schule gehörte Georg Krenn nie zu den Besten – aber auch nicht zu den Schlechtesten. „Gewisse Karriereoptionen wie Profifußballer kamen halt nicht infrage“, sagt Krenn lachend, eingeschränkt habe er sich aber nie gefühlt.
Stattdessen hat er Wirtschaftsingenieurwesen studiert und ist heute Teamleiter in einer Softwarefirma. Und sein Arzt sagt: „Du bist mit einem riesigen Nachteil zur Welt gekommen, bist aber fast gleich gut wie die anderen. Also bist du eigentlich besser.“
Fortschritte der Medizin
Von rund 80.000 Babys, die in Österreich jedes Jahr zur Welt kommen, werden 650 bis 700 mit einem Problem im Herz-Kreislauf-System geboren. Davon brauchen etwa zwei Drittel im Säuglings- oder Kleinkindalter einen Eingriff, erklärt Gamillscheg – „aufschneiden“ sei aber bei Weitem nicht mehr bei allen notwendig. Ein Loch im Herzen oder eine verengte Herzklappe können mittels Herzkatheter und ohne offenen Brustkorb behoben werden. „Heute geht es auch nicht mehr um die Frage, ob ein Kind mit Herzfehler überlebt, sondern darum, wie es überlebt“, sagt Gamillscheg. 95 Prozent der Kinder erreichen auch mit den komplexesten Herzfehlern das Erwachsenenalter.
Möglich machen das drei Errungenschaften: Fortschritte in der Chirurgie – „bereits 2-Kilo-Babys können operiert werden“ –, neue medikamentöse Entwicklungen und die Möglichkeit, immer mehr Herzprobleme mittels Herzkatheter zu behandeln. Ein wichtiger Baustein ist auch die Pränataldiagnostik im Mutterleib. „Dass uns ein Herzfehler bei der Geburt überrascht, so wie es bei Georg war, kommt heute nur mehr selten vor“, sagt Gamillscheg.
Durch diese Fortschritte in der Medizin und nie da gewesene Überlebensraten stellte sich eine neue Frage: Wer betreut die einst kleinen Patienten, wenn sie 18 Jahre alt werden und keine Kinder mehr sind? „Es hat sich international durchgesetzt, dass dafür eigene Zentren geschaffen werden, wo diese Patienten von Kinderkardiologen gemeinsam mit spezialisierten Erwachsenenkardiologen betreut werden“, sagt Gamillscheg. An der Med Uni Graz besteht seit 20 Jahren eine Spezialambulanz für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern, kurz EMAH-Ambulanz, die im Rahmen des Herzzentrums an der Kinderklinik von Kinderkardiologen gemeinsam mit Erwachsenenkardiologen betrieben wird. Dadurch können Patienten kontinuierlich und lebenslang betreut werden.
„Meine ersten Patienten hatte ich als Assistenzarzt, wir sind gemeinsam alt geworden“, sagt Gamillscheg lachend. Der älteste Patient der EMAH-Ambulanz ist über 60 Jahre alt. „Wir sind echte Lebensbegleiter“, sagt Gamillscheg.
Schwangerschaft ist möglich
Auch für Georg Krenn ist diese Vertrautheit mit seinem „Betreuerstab“ an der Spezialambulanz sehr angenehm: „I kenn di Leut“, bemüht er ein österreichisches Bonmot – und das führt dazu, dass die jährlichen Besuche im Krankenhaus nie angstbehaftet sind. „Ich treffe dort Menschen, mit denen ich nur positive Erfahrungen gemacht habe“, sagt Krenn.
Wie gut ein normales Leben mit einem angeborenen Herzfehler möglich ist, zeigt für Gamillscheg auch eine Erfolgsgeschichte des heurigen Jahres: Zwei Frauen, die beide mit demselben Herzfehler wie Georg Krenn zur Welt gekommen sind, haben in diesem Jahr selbst ein Kind bekommen. „Eine Schwangerschaft ist eine enorme Kreislaufbelastung, auch für gesunde Frauen. Für uns ist das ein großes Wunder“, sagt Gamillscheg.
Auch wenn Georg Krenn an die Operationen seiner frühen Kindheit keine Erinnerung hat, sind die Narben auf seinem Brustkorb geblieben. „Als ich noch ein Kind war, wurde ich natürlich oft gefragt: Was hast du da?“, sagt Krenn. Seine Antwort damals war: „Mein Herzerl funktioniert nicht so, wie es soll. Aber die Ärzte operieren es und dann passt das wieder.“ Diese positive Lebenseinstellung hat er sich bewahrt und sieht auch seine Narben als Teil seiner Geschichte: „Die Narben gehören einfach zu mir.“