Aktivität und Ruhe: Zwischen diesen beiden Polen sollte sich unser Leben abspielen. Was in der östlichen Philosophie als Yin und Yang bezeichnet wird, kennt man in der westlichen Physiologie als das Gegensatzpaar von Sympathikus und Parasympathikus in unserem Nervensystem, wie Gernot Träger, Allgemeinmediziner und Yoga-Lehrer erklärt. „Ist der Sympathikus aktiv, wird das Blut in Richtung Muskulatur verteilt, der Puls und der Blutdruck steigen ebenso an wie der Blutzucker – alles wird bereit gemacht für Angriff oder Flucht.“
Evolutionsbiologisch brauchte der Mensch diesen Stress zum Überleben – für den sinnbildlichen Kampf gegen den Säbelzahntiger. Heute jedoch bleiben wir im Stress meist sitzen – „wir fangen mit dem stressverursachenden Chef ja keinen körperlichen Kampf an“, sagt Träger.
Schlafstörungen, Anfälligkeit für Infekte
Dadurch wird der Blutzuckerspiegel nicht abgebaut, die Spiegel der Stresshormone Kortisol und Adrenalin bleiben hoch – die körperliche Auslastung, um von der Aktivität in die Entspannung zu kommen, fehlt.
„In unserer Leistungsgesellschaft dominiert sehr oft der Sympathikus und dabei vor allem die geistige Rastlosigkeit – das spüren wir durch das Gefühl, für nichts mehr Zeit zu haben, durch Schlafstörungen Ängste, Verspannungen, Verdauungsbeschwerden und eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte“, sagt Träger.
Und: Der Dauerstress mit einem konstant erhöhten Spiegel des Stresshormons Kortisol schwächt unser Immunsystem. Wie Träger erklärt, kommt es bei chronisch gestressten Menschen in der Nacht zu keinem Abfall des Kortisols mehr, der Blutdruck kann dauerhaft erhöht bleiben – und das kann langfristig nicht nur zu Herz-Kreislauferkrankungen, sondern auch zu Depressionen und Burnout führen.
Atmen gegen Stress
Der Gegenpol: Entspannung und Ruhe. Das ist die Zuständigkeit des Parasympathikus: „Ist dieser Teil des Nervensystems aktiv, wird das Blut in die Verdauungsorgane verteilt, der Blutdruck und der Puls sinken“, sagt Träger. Und: Im Zustand der Entspannung wird die Immunabwehr wieder aktiviert. „Je besser der Ausgleich zwischen diesen beiden Systemen, desto besser fühlen wir uns und desto gesünder sind wir“, sagt Träger.
Wie kann dieser Ausgleich nun gelingen? „Wir kennen viele östliche Traditionen, in denen der Ausgleich zwischen Aktivität und Ruhe schon seit Jahrtausenden ein Kernthema ist“, sagt Träger. Dazu zählen Yoga, Qi Gong oder Tai Chi. Aber auch in der westlichen Tradition gebe es mit der progressiven Muskelentspannung nach Jacobson oder dem autogenen Training gezielte Entspannungsmethoden.
Wechselduschen als Anpassung an die Kälte
„Eine der einfachsten und allgegenwärtigen Möglichkeiten sind bewusste Atemübungen“, sagt Träger – hier konnte in Studien gezeigt werden, dass diese das Immunsystem beeinflussen können und widerstandsfähiger gegen Kälte und Infekte machen. Mit Wechselduschen könne man sein Immunsystem außerdem gut trainieren und wieder daran gewöhnen, mit Kälte umzugehen – „da wir den Großteil unseres Lebens in gut temperierten Räumen verbringen, geht die Fähigkeit verloren, adäquat auf Kälte zu reagieren“, sagt Träger.
Eine weitere gute Möglichkeit um zu entspannen, ist laut Träger Ausdauertraining und zwar im sogenannten aeroben Bereich – das heißt, dass man beim Laufen noch genug Luft hat, um sich unterhalten zu können. „Nach dem Ausdauertraining kommt es zu einer guten Aktivierung des Parasympathikus“, sagt Träger – tatsächlich müsse aber jeder einen Ausgleich finden, der seinem Naturell entspricht, unterstreicht Träger. Denn wirken könne jede Praxis nur, wenn sie regelmäßig durchgeführt wird.
„Unsere Medizin ist ausgezeichnet darin, akute Erkrankungen zu behandeln. Doch bei langfristigen Lösungen für das Wohlbefinden der Menschen sind wir schlecht aufgestellt“, sagt Träger, wie auch die gesunde Lebenserwartung der österreichischen Bevölkerung zeigt. Hier sind wir europaweit mit 57 Jahren unter den schlechtesten Ländern. „Langfristiges Wohlbefinden die gibt es nicht aus Spritzen und Tablettenschachteln“, sagt Träger, „sondern nur durch gute Lebensgewohnheiten.“