Die Regierung berät heute mit medizinischen Experten, was getan werden muss, damit die Intensivkapazitäten nicht an ihre Grenzen geraten. Wir haben schon bei Experten nachgefragt: Was ist jetzt zu tun? Braucht es einen zweiten Lockdown wie im Frühjahr?
„Ein Lockdown würde bedeuten, dass wir wieder alles zusperren wie im Frühjahr. Doch wir haben seither dazu gelernt, und daher braucht es jetzt ein viel differenzierteres Vorgehen“, sagt Hans-Peter Hutter, Infektionsspezialist und Umweltmediziner an der Med Uni Wien. Das heißt zum Beispiel: Kinderbetreuung und Schulen sollen jedenfalls geöffnet bleiben, ebenso wie Spielplätze für Kinder. Bei Veranstaltungen müsse man genau hinschauen, sagt Hutter: Gibt es gute Präventionskonzepte? „Hier dürfen nicht alle über einen Kamm geschoren werden“, unterstreicht Hutter, schließlich sei viel Energie in die Erstellung dieser Sicherheitskonzepte geflossen und sie wurden behördlich bewilligt.
An erster und wichtigster Stelle steht für Hutter: „Die Kontaktnachverfolgung, das sogenannte Tracing, muss so schnell wie möglich aufgestockt werden.“ Es sei eine zentrale Stütze in der Pandemie-Bekämpfung – das Tracing aufzugeben, so wie in Slowenien schon passiert sei „jedenfalls keine Option“. „Da es in Österreich anscheinend nicht möglich ist, das Contact Tracing über technische Hilfsmittel wie eine App zu gestalten, dann muss eben in die ‚handwerkliche Arbeit‘ investiert werden“, sagt Hutter. Die Tracing-Teams müssen so aufgestellt sein, dass Rotationen möglich sind, um die stark beanspruchten Mitarbeiter zu entlasten.
Auch Gerald Gartlehner, Epidemiologe an der Donau-Uni Krems spricht sich dagegen aus, einen kompletten Lockdown wie im Frühjahr zu machen: „Schulen dürfen wir keinesfalls schließen, Kulturveranstaltungen, die ein gutes Präventionskonzept haben, scheinen auch kein großes Problem zu sein.“ Jedenfalls sei man jetzt an einem Punkt angekommen, wo es ein „diffuses Infektionsgeschehen“ gibt – Ansteckungen lassen sich keinen eindeutigen Clustern mehr zuordnen. Eine Möglichkeit für Gartlehner: die Rückkehr ins Home Office. „Wenn es möglich ist, sollte man das wieder forcieren – das reduziert die Verkehrsströme deutlich“, sagt der Experte.
Appell an Eigenverantwortung
„Ausgehend von den derzeitigen Daten, bin ich sehr skeptisch, dass es einen zweiten Lockdown mit all seinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen braucht“, sagt auch Klaus Vander, Krankenhaushygieniker am LKH-Klinikum Graz. „Da die meisten Ansteckungen im privaten Bereich erfolgen, würde ich uns allen raten, unsere privaten Treffen vorübergehend einzuschränken“, sagt Vander. Vander bezeichnet sich selbst als Skeptiker all zu strenger Maßnahmen – dennoch habe das Infektionsgeschehen nun eine solche Dynamik erreicht, dass sich jeder selbst „aus Solidarität“ für absehbare Zeit in seinen privaten Kontakten reduziert. Der Mediziner appelliert hier an die Eigenverantwortung der Menschen – von Ausgangsbeschränkungen und strengen Kontrollen dieser hält er nichts: „Zu viele Verbote führen unweigerlich zu Widerstand“, sagt Vander.