Erhalten Kinder vor allem Babynahrung aus Fläschchen auf Basis von Polypropylen werden sie mit zwischen einer und zwei Millionen Mikroplastik-Partikeln pro Tag konfrontiert. Auf diesen Wert kommen irische Forscher für Österreich, Deutschland und die Schweiz in einer Studie im Fachjournal "Nature Food". Experten beurteilen die Experimente und Berechnung trotz Fragezeichen als methodisch einleuchtend. Was dies aus gesundheitlicher Perspektive bedeutet, sei aber offen.
In der Vergangenheit erlangten Berichte über Mikroplastik etwa in Meerestieren, Gemüse oder bei der Verwendung von Plastik-Teebeuteln schon viel Aufmerksamkeit, in Bezug auf Babyflaschen wurde dies bisher aber noch nicht untersucht. Fläschchen aus Kunststoff werden in sehr vielen Weltgegenden aber breit verwendet, so Philipp Schwabl von der Abteilung für Gastroenterologie and Hepatologie der Medizinischen Universität Wien in einem Perspektivenartikel zu der Arbeit der Forscher um Dunzhu Li vom Trinity College Dublin (Irland). Auf Basis von Verkaufsdaten schätzten die Wissenschafter, dass Fläschchen mit Polypropylen-Anteilen mehr als 80 Prozent der weltweiten Verkäufe ausmachen.
Sie untersuchten was in zehn oft verkauften derartigen Produkten vorging, wenn Babynahrung so zubereitet wurde, wie es von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen wird. Die Anleitung sieht vor, die Flaschen zuerst mit kochendem Wasser auszuwaschen, um Keime abzutöten, und die Babynahrung dann mit rund 70 Grad Celsius heißem Wasser aufzuschütteln.
Nachdem sich in Voruntersuchungen zeigte, dass sich der Anteil an nachweisbaren Mikropartikeln (in Bezug auf Polystyrol) in Babynahrung und destilliertem Wasser nicht signifikant unterschieden, analysierte das Forschungsteam im Rahmen der Studie aus praktischen Gründen die Konzentration in Wasser, das dem Prozedere ausgesetzt wurde.
Dabei fanden sie Werte zwischen einer Million und 16 Millionen PP-Partikel pro Liter. Die Untersuchungen zeigten, dass diese Zahlen mit der Höhe der Temperatur des verwendeten Wassers zusammenhängten. Außerdem variierte das Ausmaß der gemessenen Konzentrationen im Zeitverlauf erheblich, schreiben die Studienautoren. Auf Basis der Beobachtungen errechneten sie die wahrscheinliche Anzahl an derartigen Partikeln, die ein auf diese Weise ernährtes Baby pro Tag bis zum Alter von zwölf Monaten zu sich nehmen würde.
Je nachdem, wie verbreitet Stillen in 48 untersuchten Weltgegenden ist, kamen die Forscher auf geschätzte 14.600 bis rund 4,5 Millionen Partikel pro Tag und Kind. Erwachsene seien hingegen täglich nur mit geschätzten 600 solchen Teilchen konfrontiert. Am höchsten waren die Werte bei Babys in Teilen Europas sowie u.a. in Nordamerika oder Australien. Im deutschsprachigen Raum sind es demnach zwischen einer und zwei Millionen Mikropartikel, was in etwa dem weltweiten Schnitt von rund 1,5 Mio. entspreche. In Teilen Afrikas und Asiens lagen die ermittelten Werte mitunter weit darunter.
Diese Partikelzahlen erscheinen insgesamt "sehr hoch" und könnten sich noch erhöhen, wenn etwa zum Erhitzen Wasserkocher aus Plastik verwendet werden, schreibt Schwabl. Dies könne als "alarmierend" angesehen werden, die tatsächlichen Effekte auf die Gesundheit von Kindern bedürften aber weiteren Untersuchungen, weil die Auswirkungen von Mikro- und Nano-Plastikpartikeln auf Menschen noch wenig verstanden würden. Während dies für Meerestiere ein großes Problem darstelle, geht man im Fall von Säugetieren davon, dass derartige Stoffe großteils wieder ausgeschieden werden.
Eleonore Fröhlich von der Medizinischen Universität Graz wies gegenüber dem deutschen Science Media Center (SMC) darauf hin, dass der Großteil der in der Arbeit beschriebenen Partikel kleiner als 20 Mikrometer war. Es sei davon auszugehen, dass der gesunde Darm eines Erwachsenen Mikropartikel einer gewissen Größe tatsächlich kaum in großer Zahl aufnimmt. Das könnte bei Kindern unter Umständen, wie etwa bei Frühgeburten oder bei Darmentzündungen, anders sein.
Eine andere Frage sei, was mit den von den Studienautoren erwähnten äußerst zahlreich gemessenen Nanopartikeln passiere, so Fröhlich: "Partikel in einem Größenbereich zwischen 50 bis 200 Nanometern können die Darmwand sehr gut passieren und stellen dadurch eine weit höhere Belastung des Organismus dar als Mikropartikel, welche größtenteils mit dem Stuhl ausgeschieden werden." An diesem Punkt stellen sich auch für Hanns Moshammer vom Zentrum für Public Health von der Meduni Wien, einige Fragen. Beim Nachweis von Nanopartikeln im Körper stoße man momentan nämlich vielfach noch an die Grenzen von Nachweismethoden. "Bei einem gesunden Säugling würde ich aber nach derzeitigem Wissensstand nicht von einer besonders relevanten Aufnahme ausgehen. Trotzdem: Die Mutterbrust ist immer noch die beste Wahl", so Moshammmer in einer Reaktion.
Die Arbeit von Li und Kollegen schätzt Schwabl jedenfalls als "bedeutenden Meilenstein" ein, der als Auslöser für zukünftige Forschungsarbeiten mit Fokus auf Mikro- und Nanoplastik, das aus Plastikbehältern in die Nahrung gelangt, dienen könnte. Dies könne dabei helfen Produktionsstandards und Verwendungsempfehlungen zu verbessern, so der Wiener Wissenschafter.