Die Stimmung in Bezug auf die Corona-Pandemie ist toxisch aufgeheizt: Es haben sich Fronten wie in einem Glaubenskrieg gebildet. Wo ordnen Sie Ihr Buch hier ein?
Kurt Langbein: Als langjähriger Verfechter von wissenschaftlich fundiertem Handeln bin ich über beide Seiten grotesk irritiert. Einerseits werden Maßnahmen als lebensrettend verordnet, für die es keine wissenschaftlichen Belege gibt, andererseits wird berechtigte Kritik gleich mit Weltverschwörungstheorien in Zusammenhang gebracht. Eine merkwürdige Situation, unser Buch soll zu einer neuen Sachlichkeit beitragen.
Welche Maßnahmen sind aufgrund der Datenlage anzuzweifeln?
Ein Beispiel sind Lockdowns: Im Buch beschreiben wir es als autoritäres Domino, wenn Politiker unter Druck stehen, beginnen, Maßnahmen zu setzen, und alle anderen ziehen nach. Die Prognosen und die Horrorbilder waren bedrohlich, aber es wurde viel zu wenig überlegt, welche Nebenwirkungen die Maßnahmen im Gesundheitswesen, aber auch sozial und wirtschaftlich haben werden. Und was dadurch noch passiert ist: Es gab nur die Verbotspolitik, keinen Lerneffekt. Das haben wir im Sommer gesehen, als die Menschen aufgeatmet haben, aber nicht dazugelernt hatten, wo Vorsicht angebracht ist. Zuerst war alles verboten, dann war alles erlaubt. Das ist Bestandteil der fehlerhaften Lockdown-Politik.
Schweden ging den anderen Weg und setzte von Beginn an auf Selbstverantwortung – der bessere Weg?
Schweden hat immer stur behauptet: Wir müssen mit dem Virus leben lernen. Zu Beginn wurden viele Fehler gemacht, vor allem in den Altersheimen. Das haben die Verantwortlichen dort auch eingestanden. Ein solcher öffentlicher Lernprozess fehlt in Österreich völlig. In Schweden steigen die Neuinfektionen seit zwei Monaten nicht mehr – offensichtlich haben die Schweden gelernt, vernünftig mit dem Virus umzugehen. In Österreich hingegen beginnt man nun wieder, die Verbotsschraube anzuziehen – und treibt Menschen damit ins andere Lager oder zu privaten Feiern.
Sie zeichnen im Buch die Knotenpunkte der Pandemie nach: die anfängliche Vertuschung in Wuhan, dann die Akte Ischgl, wodurch Österreich für eines der größten Superspread-Ereignisse in ganz Europa verantwortlich war. Hätte man die Pandemie verhindern können, wäre hier besser reagiert worden?
Es wäre vermessen, das mit Sicherheit zu behaupten, aber schauen wir uns Südkorea an. Die sind ganz nahe an China, was den Personenaustausch betrifft, haben aber aus früheren Epidemien konsequent gelernt. Dort wird das Verfolgen und Überwachen der Kontaktpersonen im ganz intensiven Ausmaß betrieben. Keine Stunde darf verloren gehen. Im internationalen Vergleich hatte Südkorea immer nur kleine Wellen und konnte diese innerhalb einiger Wochen zum Stillstand bringen. Das ist ermutigend zu sehen. In Italien hingegen ist man erst auf das Virus aufmerksam geworden, als es sich bereits in den Intensivstationen verbreitet hat. Das ist die schwierigste Form, sich mit dem Virus erstmals auseinanderzusetzen, dementsprechend waren auch die Folgen.
Trotzdem war Italien das Mahnmal auch für Österreich, um massive Einschränkungen zu erlassen.
Es war ein großer Irrtum, diese Analogie zu ziehen – das zeigt auch eine gewisse Blindheit. Es gab ja auch damals schon Wissenschaftler im Krisenstab, die gesagt haben: Passt auf, das geht nicht so dramatisch weiter, wie wir befürchtet haben.
Im Rückblick ist es immer leicht, gescheiter zu sein.
Natürlich, aber man könnte auch erwarten, dass die Lernprozesse öffentlich diskutiert werden. Momentan entsteht dieses irrationale Gefühl: Jetzt ist das wieder verboten und jetzt das. Die Ampel ist grün, aber dann irgendwie doch nicht. Stellen Sie sich das im Verkehr vor!
Viren waren den meisten Menschen bis Beginn dieses Jahres wohl ziemlich egal: Sie schreiben nun über eine Theorie, dass womöglich alles Leben erst durch Viren begann.
Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass Viren ein wichtiger Bestandteil allen Lebens sind. In unserem Körper finden sich hundert Mal mehr Viren als Körperzellen. Sie halten Bakterien im Zaum, regulieren das Immunsystem. Viren sind nicht per se Krankmacher, können aber zu Krankmachern werden – und zwar dann, wenn der Mensch in dieses natürliche Gleichgewicht eingreift. Dieses Coronavirus kommt von Fledermäusen, deren Lebensraum immer mehr eingeengt wird. Evolutionär bedingt beginnen Viren dann, auf andere Spezies zu springen – nicht weil sie „böse“ sind, sondern weil sie sich vermehren wollen. Diese Zoonosen werden immer häufiger, weil der Mensch nicht sorgsam mit der Natur umgeht. Die Reduktion der Artenvielfalt ist eines der größten Probleme unseres Planeten – und dort sind Pandemien daheim!