Im Dezember 2019 trat im chinesischen Wuhan ein neuartiges Virus auf – wann wurde Ihnen bewusst, dass das zu einem Problem für Österreich werden wird?
ROBERT KRAUSE: Beobachtet haben wir die Situation ab Dezember, über Datenbanken werden wir Infektiologen regelmäßig informiert. China ergriff drastische Maßnahmen und zunächst sah es so aus, als ob es ein asiatisches Problem bleiben würde. Als im Februar die ersten Fälle in Italien aufgetaucht sind, war aber klar, dass es ein Problem für Europa und die ganze Welt werden wird. Zwar hatten wir Pandemiepläne in der Schublade, aber die mussten wir adaptieren. Wir konnten über die Medien ja live mitverfolgen, welche Szenen sich in Krankenhäusern in China und in Italien abgespielt haben. Die Situation, dass andere Patienten sterben, weil sie keinen Platz mehr im Krankenhaus bekommen, mussten wir verhindern.
Wie fühlt man sich als Arzt, wenn man mit einer völlig neuartigen Erkrankung konfrontiert wird?
Einerseits reagiert man als Arzt und versucht die Daten zu bewerten und in Handlungen umzusetzen. Auf der anderen Seite ist man Mensch und hat Angst vor einer neuen Infektion. Wir wussten nicht genau, wie sich die Viren verhalten. Wir konnten auch nicht sicher sein, dass alle Informationen aus China wirklich ungefiltert zu uns kommen.
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In der Pandemie passiert Wissenschaft im Zeitraffer: Studien erscheinen ohne vorherigen Gegencheck, soziale Medien wurden von Forschern als Publikationsplattform genutzt – eine Entwicklung, die auch Schattenseiten hat.
Der Wissenszuwachs ist enorm und es ist sehr schwer, all die Daten zu kennen und einzuordnen. Leider hat das mit sich gebracht, dass gefälschte Daten und Studien veröffentlicht wurden – hochrangige Journale mussten solche Studien zurückziehen. Eine Katastrophe für die Wissenschaft! Das hat wohl damit zu tun, dass die ganze Welt mitforscht, jeder betreibt jetzt Covid-19-Forschung. Wir müssen filtern: Welche Daten helfen unseren Patienten?
Zuerst verstand man Covid-19 als reine Lungenkrankheit, bald zeigten aber Obduktionen von Verstorbenen, dass zum Beispiel die Gefäße stark betroffen sind. Wie beschreiben Sie das Krankheitsbild Covid-19 heute?
Schaut man sich die Symptome an, haben die meisten Patienten Fieber, Husten und Atemnot. Daneben gibt es aber eine Vielzahl anderer Symptome, die bei manchen Betroffenen aber die Hauptsymptome sind, wie Magen-Darm-Probleme. Das macht das Krankheitsbild sehr komplex. Covid-19 ist eine Systemerkrankung: Das Virus tritt über die Lunge in den Körper ein und verursacht eine virale Lungenentzündung. In der Folge können Komplikationen entstehen wie Thrombosen, Gefäßverschlüsse, Pilzinfektionen oder es können bakterielle Infektionen dazukommen. Gerade Pilzinfektionen können ein dramatisches Problem sein: Bis zu 30 Prozent der Patienten auf der Intensivstation mit Covid-19 haben Schimmelpilzinfektionen, dadurch vermindert sich das Überleben deutlich. Die Lunge ist offen und wund, der Pilz hat leichtes Spiel. Daran haben wir die Therapie angepasst und verabreichen eine Pilzprophylaxe. Es kann auch zu einer Überreaktion des Immunsystems kommen: Dieser Zytokinsturm führt dann zu Schäden an Organen wie Lunge, Niere oder am Gehirn. Auch das behandeln wir mit einem Kortisonpräparat.
Am Uniklinikum Graz wurde der erste Patient mittels Genesenen-Plasma geheilt. Ist die Plasmatherapie eine große Hoffnung für Herbst und Winter?
Für unseren Patienten, der an einem angeborenen Antikörpermangel leidet, war das die einzige Chance, wieder gesund zu werden. Es war wunderschön mit anzusehen, wie sich der Patient nach Wochen des Fieberns wieder erholte. Wir haben auch Patienten behandelt, die aufgrund einer hämatologischen Erkrankung keine Antikörper bilden konnten – das hat auch sehr gut funktioniert. Aber ob das die Lösung für alle Patienten sein kann, ist fraglich. Eine Studie hat gezeigt, dass die Plasmatherapie, wird sie bei allen Patienten angewendet, keinen Vorteil bringt. Wir schmeißen jetzt aber nicht das ganze Plasma weg, sondern werden es ganz gezielt bei jenen Patienten einsetzen, die keine Antikörper bilden können.
Es gab eine lange Liste an Medikamenten, von denen vermutet wurde, dass sie gegen Covid-19 helfen könnten: Was ist davon geblieben?
Nicht viel. Das Malariamittel Hydroxychloroquin, das so gehypt wurde, ist raus. Ein HIV-Mittel sowie immunmodulierende Medikamente, sogenannte Interleukin-6-Antagonisten, sind ebenfalls raus. Für die Therapie haben wir jetzt den Virenhemmer Remdesivir, der die Krankheitsdauer reduzieren kann, und das alte Kortisonpräparat Dexamethason. Das ist nicht viel.
Immer öfter wird von Spätfolgen der Covid-Infektion berichtet: Was beobachten Sie?
Wir kennen dieses Phänomen von anderen Infektionskrankheiten, wie dem Dengue-Fieber: Patienten brauchen sehr lange, bis sie wieder ganz fit sind. Wir sehen eine verlängerte Müdigkeit, ein sogenanntes Fatigue-Syndrom. Liegen keine Schäden an den Organen vor, kann man Betroffenen sagen, dass diese Müdigkeit in den allermeisten Fällen wieder verschwindet – es dauert aber.
Mit welchem Gefühl blicken Sie auf den Herbst und Winter?
Vor zwei Wochen hätte ich gesagt: Das sieht nicht so dramatisch aus. Da waren die Zahlen noch unten. Doch jetzt sind die Infektionszahlen enorm gestiegen – wir sollten es jetzt im Frühherbst schaffen, die Zahlen wieder nach unten zu bringen. Und wir werden sehr viel testen müssen, da Covid-19 ja nicht von anderen Infektionskrankheiten unterschieden werden kann. Wir sollten uns gegen die Grippe impfen lassen, Abstand halten, Mund-Nasen-Schutz tragen, nicht zu großen Festen gehen – dann sollten wir möglichst sicher durch den Winter kommen.