Wie herb ist dieser Rückschlag im Wettrennen um einen Covid-19-Impfstoff? Der Pharmakonzern AstraZeneca musste die Studie für seinen Corona-Impfstoff stoppen, nachdem bei einem der Teilnehmer Gesundheitsprobleme aufgetreten sind. Die New York Times recherchierte die mögliche Diagnose als „Transverse Myelitis“ eines Studienteilnehmers im Vereinigten Königreich als Grund für die Unterbrechung; das Unternehmen bestätigte dies jedoch noch nicht. Dieser Fall der möglichen Erkrankung könnte in der seit Ende Mai laufenden kombinierten Phase II/III-Studie des Unternehmens aufgetreten sein, die derzeit im Vereinigten Königreich, in Brasilien und Südafrika läuft. Insgesamt sollen bereits 17.000 Probanden geimpft und eingeschlossen worden sein. Erst Ende August startete das Unternehmen eine Phase-III-Studie in den USA.

Der Stopp der Studie sei eine Routinemaßnahme, teilte das britische Unternehmen in der Nacht auf Mittwoch mit. "In großen Versuchsreihen treten Erkrankungen zufällig auf, müssen aber von unabhängiger Seite untersucht werden, um das gründlich zu überprüfen."

Doch stimmt das wirklich? Und was sagen Experten zu diesem Vorgehen?

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„Für mich ist das Vorgehen im Falle der Impfstoffstudien von AstraZeneca ein gutes Zeichen, weil es zeigt, dass die Sicherheitsregeln greifen. Es ist bedauerlich, dass ein Proband der Studie erkrankt ist, aber es fehlen noch wichtige Informationen, um den Fall bewerten zu können", kommentiert Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität Marburg. Nun müsse überprüft werden, ob der Erkrankte tatsächlich den Impfstoff bekommen hatte oder Teil der Kontrollgruppe sei. Auch müsse untersucht werden, ob Vorerkrankungen vorliegen. "Vor allem müssen andere Virusinfektionen ausgeschlossen werden", sagt Becker.

Wenn das geklärt sei und die Erkrankung eine Nebenwirkung des Impfstoffs sei, muss eine Risikobewertung vorgenommen werden. „In der Öffentlichkeit werden solche Vorgänge wie das Aussetzen einer klinischen Studie manchmal als Schreckensmeldungen wahrgenommen. Wichtig ist aber anzuerkennen, dass das transparente Vorgehen ein Zeichen der funktionierenden Qualitätskontrolle ist“, sagt Becker.

Parallelen zu Ebola-Impfstoff

Der Experte bringt ein Beispiel dafür, wie ein solcher Prozess ablaufen kann: "Die klinische Überprüfung des Ebola-Impfstoffs förderte ebenfalls Gelenksentzündungen als mögliche Nebenwirkungen zutage. Bei näherer Untersuchung waren diese tatsächlich auf den Impfstoff zurückzuführen, aber hauptsächlich in einer Studienkohorte in Genf. In diesem Fall wurde die klinische Studie ebenfalls pausiert, aber nach einem Review des Boards fortgesetzt. Heute ist der Impfstoff zugelassen.“

Worum handelt es sich bei dieser nun aufgetretenen Erkrankung? "Die Transverse Myelitis geht in der Regel mit schweren neurologischen Symptomen einher", sagt Bernd Salzberger, Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg. Ursachen für eine solche Erkrankung sind die Polio, häufiger heute Enteroviren oder Autoimmunreaktionen, wie zum Beispiel eine Multiple Sklerose. "Und die Symptome sind je nach Höhe des Befalls im Rückenmark meist akute Lähmungserscheinungen oder Gefühlsstörungen – wie eine Querschnittslähmung – transverse bedeutet ja Querschnitt", erklärt Salzberger.

„Auch wenn in vielen Fällen eine solche Myelitis sich vollständig zurückbildet, ist das ein sehr ernstzunehmendes Syndrom – es gibt sehr selten eine Myelitis, vermutlich durch Kreuzreaktionen von Virusantigenen mit körpereigenen Strukturen, zum Beispiel bei der Gelbfieberimpfung", sagt Salzberger.

"Insofern werden solche Signale bei Impfstudien sicher sehr ernst genommen und müssen aufgeklärt werden. Im besten Fall hatte der Proband eine parallele Virusinfektion, die das Krankheitsbild verursacht hat und nicht die Impfung.“