Es gibt mehr als 170 Gründe optimistisch zu sein, wenn es um einen Impfstoff gegen Covid-19 geht. So viele Impfstoffkandidaten befinden sich weltweit in Entwicklung, laut der Weltgesundheitsorganisation werden mindestens 25 bereits an Menschen getestet. Eine so breite Pipeline an Kandidaten ist auch deshalb eine gute Nachricht, da die Chance, dass ein Impfstoff erfolgreich ist, bei lediglich zehn Prozent liegt. In einer Pandemie ist es also besser, Alternativen zu haben.
Nun gab es die ersten Jubelmeldungen der Impfstoffentwickler: So konnte ein britischer Impfstoffkandidat, entwickelt von der Universität Oxford und AstraZeneca, bei mehr als 500 Testpersonen zwei wichtige Kriterien erfüllen – der Impfstoff war gut verträglich und löste eine Immunreaktion aus. Auch chinesische Forscher berichteten von ähnlichen Ergebnissen: eine gute Immunantwort, milde Nebenwirkungen. Daten, die auch Ursula Wiedermann-Schmidt, Professorin für Vakzinologie an der Med Uni Wien hoffnungsvoll stimmen. „Prinzipiell ist es sehr positiv zu sehen, dass in so kurzer Zeit etliche Kandidaten die ersten Studienphasen durchgemacht haben“, sagt die Expertin – aber: „Noch stehen wir am Anfang der klinischen Entwicklung.“ Die wahre „Feuertaufe“ steht den potenziellen Impfstoffen noch bevor, wie der gebürtige Steirer Florian Krammer, der in New York an Impfstoffen forscht, sagt: In Phase III müssen sie nun zeigen, ob sie wirksam sind.
"Lieber heute als morgen"
„Ob ein Impfstoff wirklich vor einer Infektion schützt, ob die Immunität auch anhaltend ist – das sind Fragen, die wir jetzt noch nicht beantworten können, auch wenn die Welt lieber heute als morgen einen Impfstoff hätte“, sagt Wiedermann-Schmidt. Die Wissenschaft müsse sich an die Entwicklungsphasen halten – und die bis dato erfolgreichen Kandidaten müssen nun an zig Tausenden Menschen getestet werden.
Und zwar in einem Land, indem das Virus noch zirkuliert – denn der Impfstoff muss quasi im Realitätscheck beweisen, ob er Geimpfte besser schützt als ein Placebo. Daher wurden bereits zwei Phase-III-Studien in Brasilien gestartet, wo die Pandemie noch immer wütet. „Beim ersten SARS-Ausbruch war das Virus verschwunden, bevor ein Impfstoff erprobt werden konnte“, sagt Wiedermann-Schmidt. Dieses Problem sieht sie in der aktuellen Pandemie jedoch nicht heraufziehen, da noch ganze Kontinente im Bann des Coronavirus stehen.
Wann aber kann bestätigt werden: Die Impfung ist wirksam? „Wir möchten eine so große Wirksamkeit wie möglich sehen“, sagt Soumya Swaminathan, leitende Wissenschaftlerin der WHO. Für die Weltgesundheitsorganisation ist eine Wirksamkeit von 70 Prozent – 70 Prozent der Geimpften werden vor einer Infektion geschützt – die Minimal-Anforderung, die US-Zulassungsbehörde FDA würde einen Impfstoff bereits mit einer Wirksamkeit von 50 Prozent als effektiv anerkennen. Und die Zulassungsbehörden haben das letzte Wort.
Auch bei Alten wirksam?
Nun werden in den Studien zunächst typischerweise gesunde Menschen in einem Alter von 18 bis 50 Jahren rekrutiert – doch gerade bei einer Erkrankung wie Covid-19, die vor allem alte und vorerkrankte Menschen schwer trifft, ist natürlich die Frage zentral: Wie wirkt eine Impfung in diesen Risikogruppen? Schließlich weiß man, dass die Immunantwort im Alter abnimmt, ab 65 tut sich das Immunsystem schwerer, Antikörper zu bilden. Somit müssen die Impfstofftests auch in diesen Altersgruppen durchgeführt werden.
Hier könnte es sich auszahlen, dass viele verschiedene Ansätze für Impfstoffe im Rennen sind: "Die Impfungen könnten unterschiedliche Immunantworten hervorrufen und so kann man entscheiden: Welcher Impfstoff passt besonders gut für Risikopersonen, welcher für die breite Bevölkerung sagt Wiedermann-Schmidt.
„Das wichtigste ist, dass der Impfstoff sicher ist“, unterstreicht auch der renommierte Genetiker Josef Penninger – im Wettrennen um den Impfstoff dürfe es keine Abkürzungen bei der Sicherheit geben. Dass es diese nicht geben werde, betont auch WHO-Forscherin Swaminathan: „Es gibt klare Zulassungsprotokolle, die Zulassungsbehörden schauen ganz genau hin.“ Und: „Wenn ein Impfstoff freigegeben wird, können sich die Menschen sicher sein: Es gibt genug Daten, die belegen, dass die Impfung sicher ist.“
Doch was ist lang genug? Kann nach sechs Monaten der Phase-III-Untersuchung schon genug Wissen gesammelt sein? Swaminathan sagt, dass Zulassungsbehörden weltweit gerade genau diese Frage diskutieren: Reicht ihnen dieser Zeitraum aus, könnten die ersten Ergebnisse tatsächlich Anfang 2021 vorliegen. „Ich bleibe dabei: Ich gehe davon aus, dass Anfang 2021 ein Impfstoff am Markt ist“, sagt Florian Krammer. Wiedermann-Schmidt ist hier weniger optimistisch: „Dass schon früh im Jahr 2021 ein Impfstoff zur Verfügung steht, mit dem jeder geimpft werden kann, sehe ich allein aus Gründen der Verfügbarkeit als unmöglich an.“
Wo wird abgekürzt?
Doch wie ist es überhaupt möglich, dass ein Prozess wie die Entwicklung eines Impfstoffs, der normalerweise 15 bis 20 Jahre dauert, so verknappt wird – wenn keine Abstriche bei der Sicherheit gemacht werden? Swaminathan erklärt das so: „Normalerweise laufen all diese Phasen hintereinander ab, doch nun hat es die Welt eilig.“ So werde von Impfstoffherstellern verlangt, schon jetzt Produktionsstätten aufzubauen, noch bevor diese überhaupt wissen, ob ihr Impfstoff wirksam sein wird. Laut der WHO-Chefforscherin müssen auch die Länder vorbereitet sein: Kühlketten müssen aufgebaut, ausreichend Spritzen und Nadeln besorgt, Impfpläne – wen impfen wir zuerst? – müssen erarbeitet sein. Damit alles bereit ist für den Tag X.
Doch selbst wenn der Impfstoff dann zugelassen ist, sind noch längst nicht alle Hürden genommen. „Dann kann es immer noch Probleme mit der Produktion und der Verteilung geben“, sagt Krammer. Um einem „Verteilungskampf“ vorzubeugen, werden Organisationen wie die WHO oder die Impfallianz GAVI dafür sorgen müssen, dass der Zugang zur Impfung nicht von der Finanzkraft einzelner Staaten abhängt.
Eine weitere könnte die Impfskepsis sein: „Das wichtigste beim Impfen ist die Kommunikation“, sagt Wiedermann-Schmidt. „Die muss unabhängig erfolgen und darf nicht den Herstellerfirmen überlassen werden.“ Die Expertin hält nichts von einer Diskussion über eine Impfpflicht – unabhängige Information müsse Menschen die Angst nehmen. „Der Sicherheitsanspruch und das Risikoempfinden ist bei Impfungen deshalb so hoch, weil Gesunde geimpft werden“, sagt Wiedermann-Schmidt.
Schon jetzt werden Geschäfte gemacht
Der Weg zu einem Covid-19-Impfstoff ist also noch ein weiter – nichtsdestotrotz werden jetzt schon Vorverkaufsverträge zwischen Staaten und Pharmafirmen abgeschlossen. So haben die USA mit der deutschen Biotech-Firma BioNTech und dem US-Pharmakonzern Pfizer einen Liefervertrag über einen potenziellen Corona-Impfstoff geschlossen 1,70 Milliarden Euro für mehr als 100 Millionen Dosen – zu einem Zeitpunkt, zu dem noch völlig offen ist, welche Impfstoff eine Lizenz bekommen werden.
„Ich sehe das sehr kritisch und habe wenig Verständnis für so ein Vorgehen“, kommentiert Wiedermann-Schmidt. Niemand könne hellsehen, welcher Impfstoff erfolgreich sein werde – wissenschaftliche Daten geben jedenfalls noch keine Kaufempfehlung her.