Herr Penninger, der Normalbürger fühlt sich seit Monaten so, als würde er in einem Katastrophenfilm leben. Wie ist das für einen Forscher und Viren-Liebhaber wie Sie: Wie hat die Pandemie Ihr Leben verändert?
Josef Penninger: Wie für alle anderen hat sich für mich ziemlich viel geändert. Ich war mehr als drei Monate in Österreich und konnte nicht zurück nach Kanada, wo meine Arbeit ist, weil die Grenzen dicht waren. Hier in Kanada mussten wir unser Institut zusperren, Experimente abbrechen – und jetzt sperren wir wieder auf. Ich bin nicht dazu gekommen, über mein privates Leben nachzudenken, weil ich so beschäftigt war, von sieben Uhr früh bis Mitternacht, jeden Tag.
War eine Pandemie wie diese vorhersehbar?
Wir haben zwar alle gewusst, dass irgendwann so etwas kommt – so wie der Nestroy’sche Komet, den man erwartet, aber dass es dann wirklich kommt, damit hat keiner gerechnet. Ich habe immer darauf hingewiesen, dass das Virus nicht harmlos ist, aber dass die Welt zusperrt und so viele Leute infiziert werden, damit habe ich nicht gerechnet. Wir haben das alle unterschätzt. Aber wenn man sich überlegt, dass zehn Mal mehr Viren auf diesem Planeten existieren als alle anderen Organismen zusammengenommen, dann weiß man, wer die Erde kontrolliert. Die meisten Viren sind harmlos, aber manche springen auf den Menschen über und erwischen die falsche Eintrittstür. Das erste und jetzt das zweite Sars-Virus nützen den Rezeptor ACE2 als Eintrittstor – ACE2 schützt aber viele Organe und daher macht Sars-CoV-2 diese schwere Organerkrankung, während andere Coronaviren uns nicht so stark treffen.
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Sie haben ja schon vor 20 Jahren an eben diesem Rezeptor geforscht – nun ist diese Grundlagenarbeit von globalem Interesse. Wie verändert die Pandemie die Forschungslandschaft?
Die ganze Welt hat sich auf ein Thema fokussiert. Das ganze Forschungsgeld geht in die Covid-Forschung und das hat dazu geführt, dass viele Forschungsprojekte nicht mehr weitergeführt werden konnten. Forschungsinstitute mussten zugesperrt werden, außer man arbeitet an Covid-19. Es wird in der Forschung wahrscheinlich bald zu einem Blutbad kommen.
Gleichzeitig stand Wissenschaft wohl selten davor so im Zentrum des öffentlichen Interesses wie jetzt – Forschung hat die globale Bühne, um zu zeigen, was sie kann.
Ja, in meiner Zeit in Österreich habe ich immer verzweifelt versucht, dass Wissenschaft auf die Titelseiten kommt, aber ich habe das nicht geschafft. In den letzten Monaten war ich oft auf Titelseiten – in diesem Sinne ist Wissenschaft ins Zentrum gerückt. Wir haben es mit einem Virus zu tun, das können wir studieren und verstehen. Wissenschaft kann Lösungen anbieten.
Nun sind Sie bereits ein sehr renommierter Forscher, nach Ihnen wurde sogar ein Komet benannt. Diese Prominenz hat auch Schattenseiten, wie zum Beispiel der deutsche Virologe Christian Drosten erleben musste. Wie geht’s Ihnen damit?
Einerseits tut Aufmerksamkeit natürlich gut, das kann ich nicht abstreiten. Andererseits ist die Erwartung oft auch zu groß. Manchmal fühlt man sich schon wie ein Atlas, der das Gewicht der Welt am Rücken trägt. Steht man in den Medien, gibt es immer beides: das Gute und die Anfeindungen. Ich persönlich kann damit gut umgehen, ich werde nicht großkopfert werden, es ist eine gute Gelegenheit zu zeigen, was Wissenschaft kann – und darum geht’s.
Wird die Covid-Pandemie hier nachhaltig wirken – wenn es um die Förderung von Grundlagenforschung geht, zum Beispiel?
Jetzt fließt wahnsinnig viel Geld in die Covid-19-Forschung, viele andere Gelder sind abgedreht worden, aber ich hoffe, in der Gesamtheit wird das dazu führen, dass Wissenschaft ins Zentrum gerückt wird, dass am Ende viel mehr Förderung herauskommt. Das ist essenziell – auch aus wirtschaftlichen Gründen. Länder, die viel in Wissenschaft investieren, haben auch den wirtschaftlichen Vorteil. Ich hoffe, dass durch Covid-19 der Stellenwert der Wissenschaft bei Regierungen in Europa und weltweit massiv steigt. Wissenschaft ist nicht so eine Randgruppe von ein paar Spinnern, die irgendetwas herumforschen und am Ende kommt vielleicht etwas heraus. Durch Covid-19 sehen wir, wie wichtig das für unser Leben ist. Moderne Forschung kann so etwas wie Covid-19 verhindern.
Das Virus wird nicht mehr verschwinden, viel ist von einer neuen Normalität die Rede. Wann werden wir wieder ohne Sorgen zum Beispiel auf ein vollgepacktes Konzert gehen können?
Im Herbst werden die ersten Medikamente kommen, die wirken. Das erste haben wir mit dem Kortisonpräparat Dexamethason schon, es lässt Menschen überleben, wenn sie schwer krank sind. Ich hoffe, dass unser Medikament auch dazugehören wird. Wir werden Medikamente haben, die in bestimmten Stadien der Erkrankung helfen können. Das wird die Seele der Welt beruhigen. Man kann sich infizieren, aber man holt sich keine tödliche Ansteckungserkrankung. Das gibt uns Zeit, in Ruhe Impfstoffe zu entwickeln. Die Impfstoffe müssen sicher sein – und nicht nur schnell auf den Markt gebracht werden. Dadurch werden wir auch wieder auf den Fußballplatz oder fortgehen können. Es wird auch neue Diagnostik-Tools geben – zum Beispiel einen Atemtest: Wenn man auf ein Konzert geht, atmet man da hinein und weiß in zehn Sekunden, wer positiv ist. Wenn wir das in den nächsten Jahren hinbekommen, haben wir wieder ein Leben wie vorher.
Wie ist der aktuelle Status beim sogenannten Penninger-Medikament?
Wir sind in der Phase der Rekrutierung, die Studie wurde auf Russland und die USA ausgeweitet, um mehr Patienten einschließen zu können. Da die Studie doppel-verblindet ist, kriegen wir die Daten erst, wenn der letzte Patient behandelt wurde. Wir machen das sehr sorgfältig, da Schnellschüsse nichts bringen. Aber dadurch sind wir der Pandemie ein bis zwei Schritte hinterher. Aber wir lernen und hoffen, dass wir so schnell wie die Pandemie laufen können – im Herbst sollten wir die Daten haben. Hoffentlich kommen wir der zweiten Welle zuvor.
Kommt die zweite Welle?
Im Herbst ist das wahrscheinlich, wir werden aber viel besser damit umgehen können. Die Regierung, Krankenhäuser, Restaurants: Alle sind vorbereitet, die Welt wird nicht mehr zusperren müssen.
Schon jetzt hören wir warnende Worte von Virologen: Das wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein. Was muss sich ändern, um vorbereitet zu sein?
Viren sind immer gesprungen, und das Wissen, dass man Krankheiten durch Quarantäne kontrollieren kann, hat die Welt schon immer gehabt. In den letzten Jahrzehnten haben wir das in der modernen Gesellschaft aber vergessen. Es ist uns so gut gegangen. Doch dann ist das Virus auf uns übergesprungen – und es gibt noch 20 bis 30 andere Coronaviren, die ebenso ACE2 als Eintrittstor verwenden können. Wir müssen unsere Technologien nutzen, um herauszukriegen, was die Schwachpunkte dieser Viren sind! Das können wir, wenn wir als Gesellschaft zusammenkommen und an diesen Dingen forschen. Vor einem Jahr noch habe ich diese neue Supertechnologie, mit der wir Viren entschlüsseln können, Investoren vorgestellt – die haben mich hinausgeworfen, weil das etwas für arme Länder sei, damit könne man kein Geld verdienen. Alle haben gewusst, dass globale Pandemien möglich sind, aber die Leute, die das Geld haben, sagten: Damit kann man nichts verdienen, das fördern wir nicht. Wenn uns Covid-19 eines gelehrt hat, dann, wie wichtig es ist, gesund zu sein. Ich wünsche mir, dass die Welt sich wieder auf die Dinge besinnt, die Essenz haben.