Die Regierung arbeitet noch an der Corona-Ampel für Österreich, Sie haben am Complexity Science Hub Vienna bereits eine entwickelt. Was muss eine solche Ampel können?
Peter Klimek: Das Infektionsgeschehen ist sehr komplex, es muss aus verschiedenen Blickwinkeln beurteilt werden. Neben den Infektionszahlen gehört dazu zum Beispiel, wie gut die Kontaktnachverfolgung funktioniert. Und: Wie steht es um die Kapazitäten im Gesundheitswesen? Entscheidend ist, welche Konsequenzen gezogen werden, wenn die Ampel die Farbe wechselt. Diese Entscheidung muss eine Kommission treffen, sie dürfen nicht einem automatischen System überlassen werden. Denn: So ein System ist nie perfekt und es würde dazu verleiten, Fälle nicht mehr zu melden, wenn die Konsequenz ist, dass zum Beispiel Geschäfte zusperren müssen.
Was könnten „Eskalationsstufen“ sein, wenn eine Region auf rot wechselt?
Wir haben gesehen, dass die einschneidendsten Maßnahmen am wirkungsvollsten sind – doch einen Lockdown wollen wir uns ersparen. Wir müssen schauen: Was kostet eine Maßnahme? Das Tragen von Mund-Nasenschutzmasken, das Verbessern der Kontaktnachverfolgung ist vergleichsweise billig – das werden die ersten Maßnahmen sein. Wenn das nicht reicht, müssen Orte, an denen sich Menschen treffen, geschlossen werden.
Die Corona-Ampel soll sehr regionale Maßnahmen möglich machen: Wie könnte das aussehen?
Man muss schauen: Wo entstehen Cluster? Wir haben gesehen, dass Schlachtbetriebe, Kirchen und Nachtgastronomie Superspreading Events begünstigen. Entsteht ein Cluster in einem Umfeld, wo vor allem ältere Menschen unterwegs sind, ist es wohl wenig sinnvoll, Schulen zu schließen. Gleichzeitig muss man sagen: Ausbrüche bleiben selten auf einzelne Bezirke begrenzt – wir sehen, dass benachbarte Bezirke oft nachziehen. Aber man könnte Fahrten in stark betroffene Bezirke beschränken: Wenn es nicht zwingend notwendig ist, sollte man nicht in diese Bezirke fahren. Ideal wäre, wenn die Darstellung möglichst kleinräumig wäre und das Infektionsgeschehen auf einzelne Häuserblöcke heruntergebrochen werden kann. Dann kann ich entscheiden: Dort gehe ich nicht einkaufen oder verschiebe einen Besuch. Wir haben unsere Corona-Ampel nun auch international ausgeweitet, da wir gesehen haben: Reisen sind Brandbeschleuniger dieser Pandemie.
Was bedeutet das für den Sommer?
Wir müssen an die Eigenverantwortung appellieren: Bevor man in ein anderes Land fährt, muss man sich informieren: Wie ist die Lage dort und wie verhalte ich mich entsprechend? Gerade in Kroatien sehen wir die höchsten Fallzahlen des bisherigen Pandemie-Verlaufs. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass Cluster in Österreich hauptsächlich auf Reise-Tätigkeit zurückzuführen sind. Wenn wir an den Herbst denken, werden viele Umstände zusammenkommen: Menschen kommen aus verschiedenen Gegenden zurück, die Schulen öffnen wieder, wir halten uns wieder mehr in Innenräumen auf. Jetzt stehen wir noch relativ solide da, wir zehren noch vom Polster aus dem April. Wir sehen aber auch, wie zerbrechlich die Situation ist – und wie schnell es gehen kann, dass die Fälle wieder ansteigen.
Könnte eine grüne Ampel dazu führen, dass sich Menschen in diesen Bereichen wieder sorglos verhalten?
Es muss allen bewusst sein: Auch wenn die Ampel grün ist, sind wir immer noch in einer Epidemie. Doch wir können Menschen keine massiven Einschränkungen ihrer Freiheiten zumuten, wenn das Risiko in einer Region so gering ist. Wir müssen uns auch Auszeiten gönnen.