Abgesehen von einer jenseitigen, aber immer wieder hochkochenden Diskussion darüber, ob Babys in der Öffentlichkeit gestillt werden dürfen, gibt es keinen Zweifel: Stillen ist das Beste für das Baby. Die Muttermilch ist exakt auf die Bedürfnisse des Neugeborenen abgestimmt: So ist die Milch von Müttern von Frühchen eiweißreicher, damit die Kleinen schneller Gewicht zunehmen.
Mehr als Nahrung
Muttermilch ist aber mehr als Nahrung: Sie liefert bioaktive Substanzen wie mütterliche Antikörper oder entzündungshemmende Stoffe, die ein „mitgegebenes“ Immunsystem formen und damit den sogenannten Nestschutz bilden. Die Effekte für das spätere Leben kennt man: Gestillte Kinder haben weniger Allergien und werden im Erwachsenenalter seltener übergewichtig.
Doch wie genau wirkt dieses Superfood Muttermilch im Körper des Kindes? Dieser Frage geht Evelyn Jantscher-Krenn an der Med Uni Graz nach. Im Zentrum dabei stehen sogenannte humane Milch-Oligosaccharide, kurz HMO: Das sind bioaktive Mehrfachzucker, die in der Muttermilch enthalten sind. „Wir wissen schon lange, dass Muttermilch dabei hilft, ein gesundes Mikrobiom des Babys aufzubauen“, sagt Jantscher-Krenn.
Muttermilch und die darin enthaltenen HMO liefern Nahrung für die guten Bakterien im Darm – daher haben gestillte Kinder auch erwiesenermaßen mehr der „guten“ Bifidusbakterien im Darm als nicht gestillte Kinder. Ein gesundes Mikrobiom wehrt Krankheitserreger ab, beeinflusst aber auch das Immunsystem positiv. Dass gestillte Kinder seltener an Asthma und Allergien leiden, wird auch mit dem Mikrobiom in Zusammenhang gebracht – „es ist der Dreh- und Angelpunkt für die Reifung des Immunsystems“, sagt die Forscherin.
Die HMO können aber noch mehr: „Diese Stoffe können sich direkt an Krankheitserreger binden und sie unschädlich machen“, sagt Jantscher-Krenn. Dieser Abwehreffekt gelingt nicht nur im Darm, sondern die Stoffe gelangen auch ins Blut und können dort Erreger bekämpfen.
Forscherin Jantscher-Krenn konnte zeigen, dass schon während der Schwangerschaft HMO im mütterlichen Blut vorkommen und über die Plazenta und die Nabelschnur zum Kind gelangen. Während der Schwangerschaft ändert sich auch das Mikrobiom der Mutter dramatisch. „Wir vermuten, dass sich der Körper der Frau dadurch darauf vorbereitet, eine möglichst gute Bakterienausstattung an das Kind weiterzugeben“, sagt Jantscher-Krenn. Daher lautet auch ein Ziel in ihrer Forschung, herauszufinden, was ein gutes Mikrobiom der Mutter ausmacht – und welchen Einfluss Vorerkrankungen der Mutter (Diabetes, starkes Übergewicht) auf die Zusammensetzung der HMO und in der Folge auf das Kind haben könnten. „Auch die Ernährung in der Schwangerschaft kann das Mikrobiom beeinflussen – alles hängt zusammen.
Weichen werden gestellt
Die ersten 1000 Tage im Leben: Damit ist jene Spanne von der Schwangerschaft bis zum zweiten Geburtstag eines Kindes gemeint, in der viele Weichen für die spätere Gesundheit gestellt werden. „In dieser frühen Lebensphase wird das Risiko für Störungen im Immunsystem oder des Stoffwechsels entscheidend geprägt“, sagt Jantscher-Krenn. Findet man nun heraus, welche HMO mit einem besonders guten Mikrobiom zusammenhängen, könnte man hier in Zukunft gezielt eingreifen und Störungen im Mikrobiom zum Beispiel durch Präbiotika vorbeugen. Doch dafür braucht es noch viel Forschung.
Stillen trotz Coronavirus?
Gab es zu Beginn der Corona-Pandemie noch Diskussionen darüber, ob Stillen in dieser Zeit riskant sein könnte, ist die Antwort nun eindeutig: „Die Vorteile des Stillens überwiegen eindeutig, wir würden es daher auch dann empfehlen, wenn eine Mutter an Covid-19 erkrankt ist oder ein Verdachtsfall ist“, sagt Eva-Christine Weiss (Med Uni Graz). Bisher gebe es nur einen beschriebenen Fall aus Deutschland, wo Virus-Partikel in der Muttermilch einer frischgebackenen Mutter nachgewiesen wurden – bislang ist unklar, ob das Virus über Muttermilch übertragen werden kann. Ist eine Mutter infiziert oder ein Verdachtsfall, sollen jedoch Hygieneregeln eingehalten werden: Mütter sollen beim Stillen einen Mund-Nasen-Schutz tragen und auf die Händehygiene achten. „Man muss Muttermilch als Medikament betrachten, das Neugeborene bekommt darüber genau jene Antikörper mit, die es in seiner Umwelt braucht“, sagt Weiss.