"Corona-Kilos": Dieses Wort gehört wohl ebenso zum Vokabular der Pandemie wie Quarantäne oder Abstand halten. Zu wenig Bewegung, zu fettes, zu süßes Essen - das können Ursachen dafür sein, dass das Körpergewicht zunimmt, die Fettpölsterchen wachsen. Aber nicht nur - auch unsere Gene haben einen Einfluss auf unsere Figur.

Während die Forschung sich bisher darauf konzentriert hat, jene Gene zu identifizieren, die mit krankhaftem Übergewicht einhergehen, sind Wiener Wissenschaftler rund um den bekannten Genetiker Josef Penninger nun den umgekehrten Weg gegangen: Sie suchten nach Gen-Varianten, die dazu führen, dass Menschen schlank bleiben. Und sie wurden fündig: Sie konnten ein "Schlankheitsgen" identifizieren.

Gesteigerte Fettverbrennung

Das Forscherteam fand heraus, dass Mutationen des Gens ALK (ALK steht für Anaplastic Lymphoma Kinase) zu einer gesteigerten Fettverbrennung, einer verbesserten Glukosetoleranz und in der Folge zu einem sehr schlanken Äußeren führen. Ihre Erkenntnisse haben die Wissenschaftler vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nun im Fachblatt "Cell" veröffentlicht.

Wie gingen sie dabei vor? Das Team um Penninger und den Erstautor der Studie Michael Orthofer nahm die genetischen Profile von 47.102 Menschen aus der umfangreichen Bio-Datenbank in Estland unter die Lupe. Diese Menschen hatten entweder einen besonders niedrigen Body-Mass-Index (BMI) oder waren normalgewichtig. 

Auf diesem Weg fand das Team heraus, dass in der Gruppe der besonders schlanken Menschen eine Mutation des sogenannten ALK-Gens besonders häufig auftrat.

Um nun herauszufinden, welche Funktion das ALK-Gen in Bezug auf das Körpergewicht und die Fettverbrennung hat, veränderten die Wissenschafter dieses Gen bei Fruchtfliegen. Und dabei zeigte sich: Wird dieser Genabschnitt abgeschaltet, dann bleiben die Blutfettwerte auch dann niedrig, wenn die Tiere zuckerreiche Kost bekommen haben.

In der Folge arbeitete Michael Orthofer jahrelang an mehreren Mausmodellen, bei denen das ALK-Gen in unterschiedlichen Geweben, die am Stoffwechsel beteiligt sind, ausgeschaltet wurde.

Gen ausgeschaltet, Tier schlank

Es zeigte sich: War das Gen im gesamten Körper stillgelegt, waren auch die Tiere schlank. Dieser niedrigere Fettgehalt wurde verstärkt, wenn man den Tieren fettreiche Nahrung verabreichte: Obwohl sie gleich viel Nahrung zu sich nahmen und sich gleich viel bewegten wie normale Mäuse. Dabei wurde schon nach wenigen Wochen auf dieser Diät ein Unterschied von 50 Prozent Körperfett beobachtet.

Auffallend war, dass Mäuse ohne ALK-Gen einen deutlich erhöhten täglichen Energieverbrauch zusammen mit einer verbesserten Glukosetoleranz aufwiesen. Und: Obwohl die Tiere ohne ALK-Gen viel weniger Körperfett hatten, zeigte sich doch eine verstärkte Fettverbrennung.

Schlankheits-Effekt im Hypothalamus 

Nach dem Ausschlussprinzip schalteten die Wissenschafter das ALK-Gen gezielt in verschiedensten Bereichen des Körpers aus. Während sich die Deaktivierung im Fettgewebe selbst, in den Muskeln, in der Leber oder im Immunsystem nicht auf die Körperfülle der Tiere auswirkte, war das sehr wohl der Fall als die im Zwischenhirn gelegene Gehirnregion des Hypothalamus an der Reihe war. Hier handelt es sich um eine der wichtigsten hormonellen Schaltzentralen des Körpers, von der aus verschiedene Körperfunktionen wie auch die Appetitregulation getaktet werden. Über den Botenstoff Noradrenalin reguliert der Hypothalamus auch die Fettverbrennung.

Die Forscher konnten hier "dieselbe Gewichtsreduktion wie in Tieren beobachten, bei denen ALK im ganzen Körper ausgeschaltet wurde", so Orthofer. Die Blockade in jenen Nervenzellen, "die aus dem Hypothalamus hervorgehen, heizt daher die Fettverbrennung an. Deswegen bleiben die Tiere dünner, selbst bei fettreicher Ernährung".

Für Penninger, der bis 2018 das IMBA geleitet hat, dort nach wie vor eine Gruppe hat und derzeit am Life Sciences Institute an der University of British Columbia (Kanada) tätig ist, hat man es bei der Entdeckung der Gruppe mit einer "vollkommen neuen und wesentlichen Schnittstelle im Gehirn" zu tun, "die Nahrungsverwertung und Energiekreislauf steuert". Die Hemmung des Gens "könnte womöglich eine neue Therapiemöglichkeit sein, um schlank zu bleiben", sagt Penninger.

Das ALK-Gen ist bereits aus der Krebsmedizin bekannt. Dort gilt es als wichtiges Treibergen bei der Entstehung von Lungenkrebs, bei dem es im Fall einer Mutation zu einer Überproduktion von ALK-Proteinen führt. Als Medikament werden ALK-Hemmer eingesetzt, die die Funktion der ALK-Proteine unterdrücken. Die Forschungsergebnisse von Penninger und Kollegen werfen nun die Frage auf, ob sich solche Medikamente auch zur Therapie von starkem Übergewicht einsetzen ließen.

Weitere Studien sind notwendig

Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) kommentiert die Ergebnisse so: "Die Studie hat hohen Neuheitswert, da bereits sehr viele ‚Adipositasgene‘ beim Menschen beschrieben wurden, die jedoch insgesamt nur einen minimalen Effekt auf das Körpergewicht haben. Bisher konnten jedoch noch keine ‚Schlankheitsgene‘ mit biologischer Funktion nachgewiesen werden.“

"Diese Beobachtungen könnten die Basis für die Entwicklung neuer Strategien zur Gewichtsreduktion legen", kommentierte der Leiter der Abteilung Stoffwechselerkrankungen an der Uniklinik Salzburg, Bernhard Paulweber diese Studie. Aber: "In der Krebstherapie spielen ALK-Hemmer bereits seit einiger Zeit eine wesentliche Rolle. Diese Substanzen weisen allerdings zahlreiche unerwünschte Nebenwirkungen auf, wie beispielsweise ungünstige Effekte auf Herz-, Leber- und Nierenfunktion, die einen Einsatz gegen Übergewicht nicht möglich erscheinen lassen."

Daher, so Paulweber, werden noch sehr viele Studien nötig sein, um Wege zu finden, diese Erkenntnisse für den Einsatz in der Therapie von Adipositas zu nutzen.