Wie ansteckend ist das neuartige Coronavirus? Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, doch sogenannte Cluster-Analysen geben einen guten Einblick in die Übertragungswege des Virus. Nun ist eine neue Studie dazu aus München erschienen: Ende Januar tauchten die ersten Fälle von COVID-19 bei einer Firma in München auf. Eine chinesische Geschäftsreisende hatte sich zuvor mit SARS-CoV-2 infiziert und steckte bei Meetings einige Mitarbeiter eines Autozulieferers an.
Die Folge waren insgesamt 16 bestätigte Fälle in vier Generationen. Die rasche Isolation der Infizierten, die Nachverfolgung und Quarantäne der Kontakte unterbrach die Infektionskette. Wissenschaftler veröffentlichen eine detaillierte Analyse der 16 COVID-19-Fälle und ihrer 241 Kontakte. Sie schlüsseln minutiös auf, welche möglichen Übertragungswege und Ansteckungsraten in verschiedenen Klassen von Risikokontakten zu finden sind. Ihre Ergebnisse erscheinen in der Fachzeitschrift „The Lancet Infectious Diseases“.
Die Forscher ermitteln eine Ansteckungsrate – attack rate genannt – von 75 Prozent in Haushalten, in denen ein COVID-19-Fall zusammen mit den anderen Bewohnern isoliert war. Eine Isolation außerhalb des Haushaltes senkte die attack rate auf zehn Prozent.
Für Kontakte außerhalb der Haushalte mit hohem Ansteckungsrisiko betrug sie fünf Prozent.
In einem Fall fanden sie eine Infektion eines Kontaktes, bevor sich Symptome zeigten, in vier Fällen fand die Übertragung wahrscheinlich am Tag des Symptombeginns statt – weitere Transmissionen können nicht eindeutig zugeordnet werden. Erbgutanalysen des Virus über die vier Fallgenerationen hinweg ergaben zwei erworbene Mutationen in dem Zeitraum von elf Tagen.
Annelies Wilder-Smith, Professorin für neu auftretende Infektionskrankheiten an der London School of Hygiene & Tropical Medicine bewertet die Studie wie folgt: „Diese Studie ist ein weiterer Beweis dafür, dass es häufig zu Übertragungen kommt, noch bevor erste Symptome auftreten." So habe auch eine kürzlich durchgeführte Studie ergeben, dass die Viruslast von SARS-CoV-2-Infizierten am ersten Tag der Symptome am höchsten war. Das heißt: Infizierte sind wohl schon zwei Tage vor den ersten Symptomen ansteckend und die Virusmenge im Rachentrakt kann ihren Höhepunkt erreichen, noch bevor Beschwerden auftreten.
In diesem Zusammenhang muss auch die Rolle von Mund-Nasenschutz-Masken (MNS) betrachtet werden: "Das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit soll die Übertragung von Infektionen verringern, wenn die Menschen noch keine Symptome haben und nicht wissen, dass sie infiziert sind."
Die meisten Übertragungen in Haushalten
Zu den häufigsten Übertragungswegen sagt Wilder-Smith: "Die meisten Übertragungen finden innerhalb von Haushalten und bei anderen unmittelbaren Kontakten statt. Deshalb ist es so wichtig, eine Kontaktverfolgung durchzuführen."
Prinzipiell gelte für das Übertragungsrisiko: "Ein enger und längerer Kontakt erhöht definitiv das Risiko einer Infektion, aber ein kürzerer Kontakt – zum Beispiel bei Busfahrern oder in Lebensmittelgeschäften – schließt eine Übertragung nicht aus", sagt Wilder-Smith.
Übertragung beim Sprechen
Was bedeutet das nun alles für die sogenannte Attack-Rate, also die Ansteckungsrate von SARS-CoV-2?
Die Epidemiologin Daniela Schmid (Ages) erklärt: „Die Attack-Rate sagt uns, wie viele der exponierten Menschen auch wirklich infiziert wurden. Diese Attack-Rate kann man sich für verschiedene Settings anschauen, in denen sie sich auch für eine Tröpfcheninfektion erwartbar unterscheidet."
Je länger und je enger der Kontakt, desto höher die Attack-Rate, unterstreicht auch Schmid: "In einem Supermarkt hat man zum Beispiel viel weniger Kontakt als in einem gemeinsamen Haushalt. Für eine Tröpfcheninfektion muss man beispielsweise schon etwas Sprechen und das tut man im Supermarkt eher wenig, im Après-Ski-Lokal, wie in Ischgl gesehen, ist das allerdings der Fall und unter Alkohol wahrscheinlich noch mehr und wir sehen eine hohe Attack-Rate."