Sie sind gehörlos und Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes. Wie hat sich Ihr Alltag seit der Maskenpflicht verändert?
HELENE JARMER: Die Kommunikation ist deutlich schwieriger geworden, da das Mundbild gänzlich wegfällt. Man muss viel mehr im Kontext erraten, um den Faden nicht zu verlieren. Wenn ich einkaufen gehe, verstehe ich nicht, was die Verkäuferin mir gerade antwortet. Etwa welche Sorte Brot das ist oder was es kostet. Verstehen und verstanden werden ist reine Glückssache!
Die Maskenpflicht ist der Kompromiss, um zurück in den Alltag zu kehren, aber sie beeinträchtigt gehörlose Menschen zusätzlich. Wären keine Masken besser?
Keine Masken zu verwenden ist auch keine Lösung, da unser aller Gesundheit davon abhängt. Dieses Dilemma muss man in Gesprächen zwischen Krisenmanagern und Experten und um einen Tisch angehen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Ich vermisse die Einbeziehung der betroffenen Personengruppen, bevor Entscheidungen getroffen und Verordnungen erlassen werden. Der ÖGLB könnte Expertise bereitstellen, aber er wird nicht einbezogen.
Wie könnte die Maskenpflicht barrierefreier gestaltet werden?
Wenn entsprechend Raum verfügbar ist, sollte es erlaubt sein, ohne Maske zu kommunizieren, denn Gebärdensprachen erkennt man auch gut über größere Distanz. Für kurze Gespräche, die mehr Nähe erfordern, könnten man sich mit Block und Bleistift über Notizen und freie Gesten verständigen oder mit vorgefertigten Infografiken behelfen. Kurze Mitteilungen könnte man mit standardisierten Symbolen kommunizieren.
Wird in Zeiten der Krise auf Menschen mit Behinderung vergessen?
Ja! Und zwar sehr weitreichend. Die Ausgrenzung beginnt bei der Kommunikation, die nicht allen zugänglich ist, geht über versagte Tests in Behinderteneinrichtungen und endet bei der Isolierung älterer, behinderter Menschen in Altersheimen und Spitälern. Ausgrenzung passiert auch mit der Schließung der Schulen: Homeschooling stellt für gehörlose Kinder erst recht ein Problem dar, weil Unterrichtsmaterialien eher für die Masse der hörenden SchülerInnen zur Verfügung steht. Auch die schulische Begleitung hörender Kinder durch gehörlose Eltern ist völlig ungeklärt.
Was macht der Österreichische Gehörlosenbund, um diesen Missständen entgegen zu wirken?
Wir arbeiten in zwei Richtungen: Einerseits versuchen wir gehörlosen und schwerhörigen Mitmenschen jene Aufklärung zu bieten, die ihnen von der Regierung und den Medien versagt bleibt. Über Facebook und Twitter, auf der Website des ÖGLB, auf den Kanälen des Servicecenter öGSbarrierefrei publizieren wir Tipps, Demovideos zum Umgang mit Masken und auch rechtliche Hilfe in Bezug auf Corona.
Parallel dazu wenden wir uns an die politischen Entscheidungsträger, die Verwaltung und den ORF mit Offenen Briefen, Fragen, Leitfäden und Forderungen nach der Respektierung der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Leider beschränken sich die Rückmeldungen auf eine Empfangsbestätigung und die Resonanz ist mager. Es wäre eigentlich die Aufgabe des Staates, dass gehörlose Menschen nicht vergessen werden!
Ambra Schuster