Es tauchen immer mehr neue Symptome auf: Ist es noch gerechtfertigt, bei Covid-19 von einer Lungenkrankheit zu sprechen?

Horst Olschewski: Wir sehen, dass Covid-Erkrankungen ganz unterschiedlich ablaufen können: Manche Patienten bleiben völlig beschwerdefrei, manche haben mildes, andere sehr hohes Fieber, wir sehen auch neurologische Beschwerden, Augenentzündungen, Durchfall. Das zeigt, dass die Infektion durch den ganzen Körper geht, viele Organe werden mit dem Virus konfrontiert. Doch der Ort, wo es für das Leben kritisch wird, ist immer die Lunge! Die Covid-Lungenentzündung ist das lebensbedrohliche Element an der Covid-19 Erkrankung.

Was unterscheidet die Covid-Lungenentzündung von andern Lungenentzündungen?

Wir unterscheiden prinzipiell zwischen bakteriellen Lungenentzündungen, die zum Beispiel durch Pneumokokken ausgelöst werden, und Lungenentzündungen durch Viren, ausgelöst durch Grippeviren oder eben das neue Coronavirus. Diese viralen Lungenentzündungen sind anders, sie betreffen in schweren Fällen die gesamte Lunge von oben bis unten, während bakterielle Entzündungen meist nur einen Teil der Lunge befallen. Trotzdem sind diese nicht weniger gefährlich! Aus den aktuellen Zahlen scheint es so, dass die Sterblichkeit an Covid-19 Lungenentzündungen zwischen 2 und 20 Prozent liegt und damit einer typischen bakteriellen Lungenentzündung ähnelt.

Horst Olschewski leitet die Pulmonologie der Med Uni Graz
Horst Olschewski leitet die Pulmonologie der Med Uni Graz © Med Uni Graz

Wie sieht die Lunge bei Covid-Pneumonie aus?

Wir sehen, dass die Lunge gleichmäßig betroffen ist und sogenannte Milchglas-Infiltrate entstehen, die wir im Röntgen und im CT sehen. Diese entstehen, weil die Blutgefäße der Lunge durch das Virus ‚undicht‘ werden: Dadurch gelangen Flüssigkeit und Zellen in das Lungengewebe und stören dort den Übergang vom eingeatmeten Sauerstoff ins Blut. Es scheint, dass das Virus diese kleinen Gefäße viel schwerer betrifft als die Atemwege – bei den meisten anderen Erkrankungen mit einem akuten Lungenversagen wird die Lunge klein und steif, weil die Luftseite der Atemwege geschädigt wird. Das passiert bei Covid-19 primär nicht.

Wie schädlich wirkt sich die Beatmung selbst auf die Lunge aus?

Aktuelle Zahlen aus New York zeigen, dass von den Patienten, die intubiert wurden, 88 Prozent verstorben sind. Das heißt nicht, dass die Intubation schuld am Tod der Patienten war! Vielleicht kam sie nur einfach zu spät? Hat ein Patient eine Lungenentzündung, dann ist es immer besser, wenn die Behandlung ohne Beatmung auskommt. Die Beatmung über die Intubation ist nie die erste Option, weil die Therapie selbst zu Schäden führen kann – das gilt allgemein, aber auch für Covid-19. Ob intubiert wird oder nicht, richtet sich vornehmlich nach dem Sauerstoffgehalt im Blut. Für die Behandlung von Covid-19 müssen aber zusätzliche Kriterien berücksichtigt werden. Die Ärzte möchten vor dem Intubieren die Sauerstofftherapie ausreizen, indem sie Atemmasken, teils mit Überdruck einsetzen. Sie wissen andererseits, dass Patienten sich sehr schnell massiv verschlechtern können und dann doch rasch die Intubation brauchen. Für Österreich gibt es noch keine offiziellen Zahlen, aber es scheint, dass unsere Intensivmedizin bei den Covid-Patienten eine deutlich höhere Erfolgsrate hat als in New York.

Wie gefährlich ist Covid-19 für Menschen, die Vorerkrankungen der Lunge haben?

Laut den vorliegenden Daten sieht es so aus, dass Menschen mit Asthma kein erhöhtes Risiko haben. Ein großer Risikofaktor ist aber zweifellos das Rauchen. Es scheint, dass Herzpatienten und Patienten mit Bluthochdruck, Übergewichtige und inaktive Menschen ein größeres Risiko haben als andere - und natürlich spielt das Alter eine sehr große Rolle.

Kann es durch Covid-19 zu bleibenden Lungenschäden kommen?

Ich möchte sehr davor warnen, schon jetzt langfristige Vorhersagen zu machen! Wir können jetzt absolut noch nicht sagen, ob die Einschränkungen an der Lunge, die wir in den ersten Wochen sehen, auch so bleiben. Vielmehr wissen wir von anderen schweren Lungenentzündungen, durch die es zu schweren Schäden am Organ gekommen ist, dass eine weitgehende Erholung möglich ist. Was wir aus Obduktionen von Covid-Verstorbenen aber wissen: Bei diesen Patienten ist ein Teil jener kleinen Blutgefäße der Lunge durch Blutgerinnsel verschlossen, sodass dort kein Blut mehr fließen kann und auch der Gasaustausch nicht mehr funktioniert. Es ist also nicht nur so, dass durch die undichten Gefäße Flüssigkeit und Zellen in das Lungengewebe eindringen, sondern dass auch die Gefäße selbst nicht mehr funktionieren. Das könnte Folgen für die Therapie haben – vielleicht müsste man die Blutgerinnung der Patienten beeinflussen. Aber all das muss gut untersucht werden, in wissenschaftlichen Studien.

Ist Covid-19 aus Ihrer Sicht mit einer anderen Erkrankung vergleichbar?

Es gibt erstaunliche Ähnlichkeiten mit dem Höhenlungenödem, aber eben ausgelöst durch ein Virus. Die Besonderheit gegenüber anderen Lungenentzündungen ist, dass vor allem die kleinen Blutgefäße der Lunge stark angegriffen werden, davon ausgehend ergeben sich die schweren Symptome und die weiteren Folgen. Das könnte die Basis für neue Therapien sein.