Zunächst die vorsichtig guten Nachrichten:Daten aus China, aber auch aus Österreich zeigen, dass Kinder seltener an Covid-19 erkranken, und wenn, dann überwiegend milde oder gar keine Symptome haben. Aber, so fürchten Kinderfachärzte, die Krise könnte trotzdem negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Kinder haben – nämlich dadurch, dass die medizinische Versorgung der kleinen Patienten reduziert wurde und die Angst vor der Ansteckung davon abhält, zum Arzt zu gehen.
Bei Erwachsenen gibt es schon einige Daten zu diesen sogenannten Kollateralschäden der Krise: Kardiologen zeigten auf, dass 40 Prozent weniger Herzinfarkt-Patienten ins Krankenhaus kommen – die wahrscheinlichste Erklärung: Patienten trauen sich aus Angst vor einer Ansteckung nicht ins Krankenhaus. Erste Daten zu den Auswirkungen bei Kindern gibt es aus Italien – und sie machen betroffen: Im Fachmagazin „Lancet“ werden zwölf Fälle von Kindern beschrieben, die während der Coronakrise trotz schwerer Erkrankungen sehr spät ins Krankenhaus kamen. Darunter waren Kinder mit Leukämie, Darmverschlüssen, akutem Diabetes oder Nierenversagen. Für vier Kinder kam die Hilfe zu spät, sie verstarben.
„Ja, auch wir haben den Eindruck, dass jene Notfälle, die zu uns kommen, nicht so schnell gekommen sind wie unter normalen Umständen“, sagt Ernst Eber, Vorstand der LKH-Uniklinik für Kinderheilkunde in Graz. Harte Daten gebe es noch nicht, Eber kann nur Eindrücke wiedergeben: Es habe auch in Graz Kinder mit Blutkrebserkrankungen oder Blinddarmdurchbruch gegeben, die spät ins Krankenhaus gekommen sind. „Aus Gesprächen wissen wir, dass Eltern jetzt lieber einen Bogen ums Krankenhaus machen, aus Angst vor der Ansteckung.“ Doch diese Angst sei unbegründet, mögliche Verdachtsfälle werden noch vor den Türen abgefragt und in andere Teile der Kliniken geleitet. Es herrsche „maximale Sicherheit“, sagt Eber.
„Auch wir in der Praxis teilen das Gefühl, dass Eltern eine gewisse Sorge haben, momentan zum Arzt zu gehen“, sagt Hans Jürgen Dornbusch, Kinderfacharzt in Graz. Dabei habe man in den Praxen höchstmögliche Sicherheitsstandards eingeführt – Covid-19-Verdachtsfälle werden nicht nur terminlich von allen anderen Patienten getrennt, sondern wenn möglich auch in einem anderen Teil der Praxis untersucht. Die Sorge, die nun besteht: Vorsorgeuntersuchungen sowie Impfungen könnten nicht wahrgenommen werden – die WHO warnt bereits vor Impflücken und vermehrten Masern-, Keuchhusten- und anderen Krankheitsausbrüchen in dieser Generation, da Kinder aus Angst vor der Ansteckung nicht zum Impfen gebracht werden.
„Ich rechne damit, dass wir nach der Krise eine große Zahl von jungen Patienten mit psychischen Erkrankungen sehen werden, die nicht die notwendige Behandlung bekommen haben“, zeigt Reinhold Kerbl von der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) auf. Psychische Probleme würden ja nicht einfach verschwinden – vielmehr hätten sowohl Behandlungseinrichtungen wegen des Coronavirus geschlossen, und auch Familien entscheiden sich eher dagegen, in Gesundheitseinrichtungen zu gehen, sagt Kerbl.
Der Kinder- und Jugendpsychiater Christoph Göttl sagt, dass in der Krise die soziale Schere noch weiter aufklaffen kann: „Während Familien mit guten Ressourcen die Krise vielleicht sogar als Chance nutzen können, werden jene mit wenigen Ressourcen schlechter aussteigen – und das ist auch jene Gruppe, die häufig von psychischen Krankheiten betroffen ist.“
Experte Kerbl unterstreicht: „Dadurch, dass Kinder aus ihrem Alltag genommen wurden, entstehen zusätzliche Probleme.“ Ihn würden Mails von Eltern erreichen, deren Kinder sich ganz in sich zurückziehen oder aggressiv werden, weil ihnen die Treffen mit Freunden, der Tagesablauf oder die Bewegung im Sportverein fehlen. „Das ist kein Kollateralschaden, sondern ein direkter Schaden der Krise“, sagt Kerbl.
Aber: Es gibt auch positive Auswirkungen, wie Jörg Jahnel, Vorstand der Kinder- und Jugendheilkunde am Klinikum Klagenfurt sagt. „Dadurch, dass Kinder vor allem zu Hause sind, werden auch andere Viren weniger oft übertragen, die Kinder sind weniger krank.“ Er sieht die Krise auch als Chance dafür, Hygieneregeln mit in den Alltag zu nehmen und dass Kinder zukünftig nicht mehr krank in Betreuungseinrichtungen geschickt werden, weil Eltern um ihren Job fürchten müssen.