Dieser Fall sorgte weltweit für Aufsehen: Ein französisches Kind hatte sich mit dem Coronavirus angesteckt, diese Ansteckung blieb zunächst unbemerkt, das neunjährige Kind nahm an drei Skikursen teil, hatte insgesamt 172 Kontakte zu anderen Menschen – steckte aber laut einer aktuellen Studie keinen einzigen davon an.
Laut den Studienautoren könnte das ein Hinweis sein, dass Kinder möglicherweise keine bedeutende Rolle für die Übertragung spielen – doch mehr als Hinweise gibt es bis dato nicht, für endgültige Aussagen ist es zu früh, wie Experten unterstreichen.
Enger Körperkontakt
Üblicherweise, so kennt man es von der jährlichen Influenza ebenso wie von Erkältungsviren, sind Kinder die „Schrittmacher der Infektion“, wie Werner Zenz, Kinderfacharzt an der Med Uni Graz, sagt: „Von der Influenza wissen wir, dass Kinder doppelt so häufig und früher im Verlauf der Epidemie erkranken und die Krankheit dann in die Familien bringen.“ Dass Kinder eine besondere Rolle bei Infektionskrankheiten spielen können, liegt vor allem an ihrem Umgang miteinander: „So engen Körperkontakt sieht man bei Erwachsenen im Büro wohl kaum“, sagt Hans-Peter Hutter von der Med Uni Wien. Dem anderen ins Gesicht zu fassen oder den Lutscher zu teilen – so gelangen Viren sehr leicht von einem Kind zum anderen.
Daher kam es zu der Annahme, dass Kinder auch für die Covid-19-Pandemie eine entscheidende Rolle spielen könnten – noch dazu, da man beobachtet hat, dass die Erkrankung bei Kindern sehr oft ohne Symptome (asymptomatisch) verläuft. Kinder könnten stille Verbreiter sein, die das Virus unbemerkt in die Familien bringen, lautet die Hypothese. Nur: „Für diese Annahme gibt es keinen Beweis“, sagt Volker Strenger von der Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde.
Seltener betroffen, milde Verläufe
Bis dato zeigen sich zwei Dinge eindeutig: Kinder sind seltener von Covid-19 betroffen und wenn sie erkranken, dann in den allermeisten Fällen nur milde. In China wurden 45.000 Fälle ausgewertet, nur ein Prozent aller Erkrankungen betraf Kinder unter zehn Jahren, die 10- bis 19-Jährigen machten nur 1,2 Prozent aller Erkrankten aus. Nur fünf Prozent erkrankten schwer, sodass Atemnot auftrat. In Island haben Forscher 13.000 Menschen auf das Virus getestet – bei Kindern unter zehn Jahren gab es keinen einzigen positiven Befund. Und auch hierzulande gibt es erste Beobachtungen dazu: An der LKH-Kinderklinik Graz wurden bis dato 500 Kinder auf das Coronavirus getestet, die milde Symptome einer Erkältung oder Kontakt mit einem Infizierten hatten: „Von diesen 500 getesteten Kindern waren nur zwei positiv“, sagt Strenger.
Doch es gibt auch andere Beobachtungen: In China wurden Infektionsketten innerhalb von Familien untersucht, wo sich zeigte: Kinder infizieren sich genauso häufig wie Erwachsene.
Unklar ist auch noch, welche Rolle asymptomatische Patienten für die Übertragung spielen: Zwar zeigte sich in Studien, dass asymptomatische Patienten eine geringere Viruslast in den Atemwegen haben, aber gleichzeitig bewegen sich asymptomatische Menschen weiterhin in der Gesellschaft - zu welchen Effekten das führt, muss noch untersucht werden.
Für die Experten zeigt sich bisher dieses Bild: Die These, dass Kinder die Motoren der Ausbreitung sein könnten, hat sich bis dato nicht bestätigt. Der Lungenexperte Bernd Lamprecht, der am Kepler-Klinikum Linz Covid-19-Patienten behandelt, warnt aber vor voreiligen Schlüssen: „Die Frage, welche Rolle Kinder in der Infektionskette spielen, können wir noch nicht endgültig klären. Und wir können sicher nicht sagen: Kinder kommen als Überträger nicht infrage.“ Was das für die Öffnung von Schulen bedeuten kann? „Es wird ein differenziertes Vorgehen brauchen, damit wir den Polster, den wir uns erarbeitet haben, nicht wieder verspielen“, sagt Lamprecht. Werner Zenz gibt auch zu bedenken: "Dass wir jetzt bei uns so wenige erkrankte Kinder sehen, könnte auch ein Ergebnis der strengen Maßnahmen sein."