zuerst. Mamas Klopfen an der Tür oder das Rufen des Namens ins Nebenzimmer, das unbeantwortet bleibt. „Man weiß ja nicht, dass man nichts hört, weil man es ja nicht hört“, sagt Elisabeth Reidl.
Der Akustiker muss mit seinem Koffer ins Wohnzimmer kommen, um das Hörgerät anzupassen – Elisabeth streikt. „Ich habe allen anderen die Schuld gegeben, warum ich?“, erzählt Reidl, die heute andere in der Selbsthilfegruppe für Hörgeschädigte und CI-Träger (Cochlea-Implantat) unterstützt und begleitet. „Schwerhörigkeit ist noch immer ein Tabu-Thema, das man verstecken möchte. Eine Brille ist modisch. Aber ein Hörgerät? Das will nicht jeder.“
Mit 18 Jahren war Elisabeth Reidl an Taubheit grenzend schwerhörig. „Ich habe mein Gegenüber nur mehr mit Blickkontakt verstanden“, sagt sie. „Integration war damals noch ein Fremdwort. Ich war die derrische Kapelle oder die taube Nuss.“ Dazu kommt, dass sie dem Unterricht nicht folgen kann. Eine Freundin schreibt auf Kopierpapier und Reidl lernt zu Hause. Nach der Matura beginnt sie Sportwissenschaften zu studieren. „Mit 250 Leuten in einem Hörsaal. Nach zwei Monaten bin ich geflüchtet. Ich habe nichts verstanden.“Mit 21 Jahren wird Elisabeth Reidl das erste Mal schwanger. „Ich habe mit meinen Kindern alles gemacht. Ich habe auch mit ihnen gesungen – lautstark, falsch und von Herzen.“ Trotzdem müssen die Augen für die Ohren einspringen. „Ich musste sie immer sehen, ich hätte es nicht gehört, wenn etwas passiert wäre.“ Wenn die Kinder ihrer Mutter von einem Ereignis berichten und dabei zu schnell sprechen, kann Elisabeth Reidl es nicht von den Lippen absehen. „Bald sind sie dann eher zu Papa gerannt.“
"Wie eine Schnecke im Haus"
In einer Welt der Hörenden ist Reidl akustisch auf die Hilfe anderer angewiesen. Keine telefonischen Terminvereinbarungen, Bankgeschäfte oder Elternsprechstunden. „Wenn man nicht hört, wird man einsam – mitten in der Gesellschaft. Ich war wie eine Schnecke im Haus, die selten rausgegangen ist. Heute bin ich aber eine rote lästige Wegschnecke“, lacht die Verwaltungsangestellte.
Auch im Berufsleben wird man schnell zur Außenseiterin, wenn man an Gesprächen nicht teilnimmt oder nur schmunzelt, wenn alle kudern. „Je nach Grad der Hörschädigung ist das wie Zeitunglesen, bei dem jedes dritte oder fünfte Wort fehlt“, schafft sie Sensibilität für Betroffene. Reidl versteht zum Beispiel oft die Namen ihrer Kollegen nicht, versucht sich die Namensschilder an den Türen einzuprägen. Auch Arbeitsaufträge kann sie manchmal nur schwer erfassen. „Es sind Fehler aus akustischen Gründen passiert, die dem Geiste zugeschrieben wurden.“
"Fantastische Hörreise"
1999 wagt die damals dreifache Mutter den großen Schritt und lässt sich ein Cochlea-Implantat einsetzen. „Es war die beste Entscheidung meines Lebens. Da hat meine fantastische Hörreise begonnen. Akustisch ist es steil bergauf gegangen. Mein Selbstwertgefühl ist gestiegen und ich hatte wieder Freude, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben.“ Ein Geräusch wird sie aber niemals vergessen. „Das schönste Erlebnis war der erste Schrei meiner vierten Tochter. Mein viertes Kind habe ich schon gehört, bevor ich es gesehen habe.“ Heute hat sich Elisabeth Reidl mit dieser Zeit arrangiert und steckt alle Energie in die Selbsthilfegruppe sowie in ihr Tun im Grazer Behindertenbeirat. „Ich kämpfe für akustische Barrierefreiheit. Das ist noch ein langer Weg.“
Außerdem hat sie eine Botschaft an alle Hörenden: „Ich wünsche mir, dass die Menschen gerade in der heutigen Zeit der ,akustischen Umweltverschmutzung‘ lernen, wieder hinzuhören und in extrem lauten Situationen auf ihr Gehör achtgeben, bei Bedarf Hilfe annehmen und rechtzeitig ein Hörsystem akzeptieren.“