Gerade einmal 20 Gramm leicht ist die Schilddrüse, sie wiegt aber trotzdem ganz schön schwer. Denn das kleine schmetterlingsförmige Organ, das sich auf Höhe unseres Kehlkopfes befindet, ist so etwas wie die Kommandozentrale unseres Körpers. Die Schilddrüse bestimmt, wo es langgeht, indem sie mit ihren Hormonen eine Vielzahl an überlebenswichtigen Funktionen steuert. Ohne sie geht eigentlich nichts.
Stefan Sorko, Arzt an der Abteilung für Nuklearmedizin und Endokrinologie am Klinikum Klagenfurt, erklärt: „Ein Leben ohne Schilddrüsenhormone ist nicht möglich, weil sie schon im Kindesalter als wichtige Wachstumshormone dienen und zur gesunden Entwicklung beitragen. Sie sind zudem für die Aufrechterhaltung vieler körpereigener Regelkreisläufe notwendig: zum Beispiel für die Regelung von Blutdruck, Herzfrequenz und Fettstoffwechsel oder die Anpassung der Körpertemperatur.“
Power und warme Hände
Sind wir also gerade besonders aktiv, weil wir mit dem Rennrad einen Pass erklimmen, oder ist uns zum Beispiel kalt, erhöhen die Schilddrüsenhormone unseren Energieumsatz und sorgen dafür, dass wir ausreichend Power für die letzte Steigung haben. Und immer warme Hände.
Schilddrüsenhormone als Ofentüren: Diesen Vergleich zieht Harald Dobnig, ärztlicher Leiter des Schilddrüseninstituts Dobnig in Graz. Je mehr dem Stoffwechsel eingeheizt werden soll, desto mehr müssen sich die Ofentüren öffnen. Das heißt: Braucht unser Körper wegen des Rennradfahrens gerade mehr Energie, muss die Schilddrüse eben mehr Hormone produzieren. Nur: Von allein macht sie das nicht.
Es ist ein wenig komplizierter. Je nach Bedarf produziert nämlich der Hypothalamus, das wichtigste Steuerzentrum im Hirn, TRH (Thyreotropin freisetzendes Hormon). Dieses regt daraufhin unsere Hirnanhangdrüse an. Sie sorgt dafür, dass TSH (Thyreoidea stimulierendes Hormon) freigesetzt wird, was schließlich zur Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen führt.
So lange, bis die benötigte Hormonmenge dem Körper zur Verfügung steht – und dann geben T3 und T4 Bescheid, dass die Produktion der Hormone wieder runtergefahren werden kann. Am Rad läuft es ja jetzt rund.
Die Überfunktion
Was unsere Schilddrüse macht, hat also nicht nur System, es hält das System aufrecht, selbst unter großen Belastungen. Schleicht sich ein Fehler ein, kann das daher weitreichende Folgen haben – und das dann eben auf unseren gesamten Organismus. „Es ist typisch für unsere Hormonsysteme, so auch für die Schilddrüse, dass die Hormonwerte im Blut individuell extrem konstant gehalten werden“, so Dobnig. „Ist das nicht mehr möglich, weil zum Beispiel ein heißer Knoten zu viele Hormone ausschüttet, spürt der Betroffene meist, dass etwas nicht mehr stimmt.“
Bei einer Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose) läuft unser Stoffwechsel quasi konstant auf Hochtouren. Es kommt zu Herzrasen, Gewichtsverlust, Durchfall, Zittern und übermäßigem Schwitzen. Auch eine Autoimmunerkrankung kann hinter dem Hormonüberschuss stecken. Leidet man unter Morbus Basedow, bewirken Antikörper eine verstärkte Jodaufnahme in der Schilddrüse und daher eine erhöhte Produktion von T3 und T4.
Die Schilddrüse benötigt Jod, um ihre Hormone zu bilden. Mit Thyreostatika – das sind Medikamente, die die Schilddrüsenfunktion hemmen –, lässt sich die Überfunktion im Idealfall gut behandeln. „Bringen Medikamente langfristig keine Erleichterung, wartet man je nach Ursache ab oder operiert“, so Dobnig. „Man kann auch mit Radiojod behandeln, das gezielt Zellen zerstört. Bei bestimmten Knoten lassen sich Zellen seit Neuestem auch mit einer Hitzeverödung unschädlich machen.“ Während es bei einer Überfunktion also heiß hergeht, lässt einen die Unterfunktion eher kalt.
Die Unterfunktion
Die häufigste Autoimmunerkrankung beim Menschen, die Hashimoto-Thyreoiditis, ist in den meisten Fällen auch der Grund für eine Schilddrüsenunterfunktion. Weil der Körper glaubt, das Schilddrüsengewebe sei fremdartig, kommt es zu einer dauerhaften Entzündung und der langsamen Zerstörung des Gewebes. Der Körper gegen sich selbst: 1:0. Durch diesen Umstand werden zu wenig Schilddrüsenhormone gebildet, eine Unterfunktion entsteht: die Hypothyreose.
„Sehr häufig klagen die Betroffenen über starke Müdigkeit, fehlenden Antrieb oder Gewichtszunahme. Weiters können Verstopfung, trockene Haut, brüchige Nägel, Haarausfall oder eine Kälteintoleranz auf das Vorliegen einer Unterfunktion hinweisen“, so Sorko. Und Dobnig ergänzt: „Behandelt wird häufig mit dem gleichen T4-Hormon, das die Schilddrüsenzellen normalerweise selbst produzieren, sie sind ein natürlicher Ersatz. Bei richtiger Einstellung ist die Lebensqualität sehr gut.“
Frauen häufiger betroffen
Regelmäßige Kontrollen sind dennoch unumgänglich. Dabei zeigt sich übrigens: Frauen sind etwa fünf bis acht Mal häufiger von einer Schilddrüsenerkrankung betroffen als Männer. Es gibt Schätzungen, dass eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens ein Schilddrüsenproblem entwickelt. Die Schwangerschaft ist oft eine Phase, in der sich Funktionsstörungen bemerkbar machen – die Schilddrüse muss mehr arbeiten, Störungen werden offensichtlich. Auch die Wechseljahre seien ein typischer Zeitpunkt dafür, dass Schilddrüsenprobleme auftauchen.
Warum aber so viel mehr Frauen betroffen sind, ist unklar. Was hingegen der Auslöser einer vergrößerten Schilddrüse ist, einer sogenannten Struma, konnten Forscher vor vielen Jahren herausfinden, nämlich ein Mangel an Jod. Weil dadurch eine Unterversorgung mit T3 und T4 droht, reagiert der Körper mit der vermehrten Bildung hormonproduzierender Schilddrüsenzellen. Dieses Zellwachstum führt schließlich zur Vergrößerung der Schilddrüse, die man umgangssprachlich als „Kropf“ kennt.
Jod im Speisesalz
Damit es aber gar nicht so weit kommt, hat man reagiert. „1963 wurde in Österreich begonnen, dem Speisesalz Jod beizumengen“, sagt Sorko. „Es besteht hierzulande bei einer ausgewogenen Ernährung keine Gefahr einer Unterversorgung mit Jod, deshalb werden heutzutage nur selten ausgeprägte Formen der Jodmangel-Struma beobachtet.“ Außerdem kommt Jod reichlich in Meeresfischen und Meerestieren sowie in schwarzem Tee, Rindfleisch und Spinat vor.
Sabrina Luttenberger