Ihr Buch trägt den Titel „7 Milliarden für nichts“: Diese Summe ließe sich laut Ihnen ganz einfach im Gesundheitssystem einsparen. Wie genau?
Günther Loewit: Diese Milliarden kommen von überall her! Zum Beispiel geben wir in Österreich zurzeit 5,1 Milliarden für Medikamente aus. Aus Studien wissen wir aber, dass nur die Hälfte dieser Medikamente auch eingenommen wird. Der Rest landet im Grundwasser, im Mistkübel. Das wären schon 2,5 Milliarden, die man einsparen könnte. Oder: diese völlig unnötigen Computertomografie- und Magnetresonanz-Befunde. Jeder weiß über die Sinnlosigkeit dieser Wirbelsäulenkontrollbilder. Hier könnte man locker 1 bis 2 Milliarden sparen.
Das macht etwa 3 bis 4 Milliarden Euro – was noch?
Nehmen wir symbolisch für vielen anderen Unfug das Thema Burn-out. Studien sagen, dass zwischen ein und zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt in westlichen Gesellschaften für Burn-out ausgegeben werden. Wenn wir einen höflicheren Umgang hätten, Dienstgeber ihre Mitarbeiter wertschätzen würden – hier könnte man Folgekosten in Milliardenhöhe einsparen. Und die Spitalsbetten: Wir haben in Österreich im Vergleich zu Dänemark die doppelte Spitalsbettendichte, die Liegedauer der Patienten ist auch fast doppelt so hoch. Wahrscheinlich könnte man insgesamt auch 10 Milliarden Euro sparen.
Sie sind seit 30 Jahren Landarzt: An welchem Beispiel aus Ihrer Praxis lassen sich die Absurditäten des Gesundheitssystems veranschaulichen?
Ein Beispiel ist ein Dorfbewohner, der nach einem feuchtfröhlichen Besuch im Gasthaus am Heimweg stürzt, kurz bewusstlos ist und eine kleine Platzwunde hat. In so einem Fall ruft heute niemand mehr den Hausarzt. Stattdessen wird eine Rettungskaskade in Gang gesetzt, mit Rettung, Notarzt, Hubschrauber, Krankenhaus. Eine Flugminute kostet 90 Euro, unter 3000 Euro kriegen sie keinen Hubschrauberflug. Ein billiges Spitalsbett kostet mindestens 600 Euro pro Tag. Meine Alternative dazu ist: Der Hausarzt fährt hin, macht eine Visite, setzt eine Naht und untersucht den Patienten. Das kostet 150 Euro.
Wenn es nun aber keinen Hausarzt mehr im Ort gibt?
Es gibt keine Hausärzte mehr, weil sie gezielt ausgehungert wurden. Man muss den Beruf wieder attraktiver machen!
Haben Sie einen Behandlungsplan für den Ärztemangel am Land?
Der Kern ist mehr Wertschätzung! Das bedeutet wohl auch mehr Honorar. Die Honorare sind in den letzten 30 Jahren immer weiter gesunken. Und wir müssen die jungen Kollegen besser ausbilden. Der Aufnahmetest für das Studium ist ein rein wissenschaftlicher, der „Seelsorgetyp“ hat da gar keine Chance. Das Gespräch mit dem Patienten sollte schon Teil des Lehrplans sein. Junge Ärzte lernen heute aber nur über Tabletten und Operationen. Wir müssen wieder lernen, mit Patienten zu reden, und das Ganze muss ordentlich honoriert werden. Das Zauberwort ist Zeit: Zeit zum Zuhören, aber auch Zeit in der Therapie.
Sie attestieren eine „entmenschlichte Gesundheitsindustrie“.
Gesundheit und Heilen ist so modern, viele Institutionen haben sich gesagt: Da machen wir auch mit. Hubschraubereinsätze sind nur ein Aspekt. Und der Politiker sagt: „Wenn ich wiedergewählt werden will, muss ich ein neues Spital bauen“ – obwohl er genau weiß, dass wir viel zu viele Spitalsbetten haben. Es gibt ja auch keine Gesunden mehr, es gibt nur schlecht Untersuchte. Wir produzieren Kranke am Fließband. Ich würde stattdessen sagen: Helfen wir denen, die um Hilfe suchen, und lassen wir die Gesunden gesund sein.
Sie kritisieren auch den Umgang mit Menschen an ihrem Lebensende: Was läuft hier falsch?
Es ist gut, wenn wir das Leben verlängern, aber nur den Prozess des Sterbens zu verlängern, ist nicht okay. Ich spreche von Patienten, die von sich aus sagen: „Ich bin am Ende angekommen.“ Aber die Medizin sagt: „Nein, die Oma braucht noch eine Chemotherapie um 60.000 Euro, da lebt sie noch zwei Monate.“ Es gibt so viele Studien, die zeigen, dass die letzte Lebensspanne die teuerste ist. Die Medizin hat eine Erwartungshaltung erzeugt, die sagt: „Wir können alles heilen.“ Aber die Sterblichkeit des Menschen bleibt bei hundert Prozent.