Frau Professor Wiedermann-Schmidt, wie gefährlich ist dieses neue Coronavirus nun wirklich?
Ursula Wiedermann-Schmidt: Das Ganze ist ein Work-in-Progress: Wir haben noch nicht genug Daten, um eine vollständige Analyse zu machen. Was ich jetzt sage, ist der aktuelle Wissensstand. Wir sehen, dass dieses neue Virus eine große Ähnlichkeit zu SARS hat: Es ruft ebenso Erkrankungen hervor, die die Lunge betreffen und zu Fieber, Husten und Atemnot führen. Aus den letzten Berichten wissen wir auch, dass die Erkrankung bei jenen Menschen besonders schwer verläuft, die älter als 40 Jahre sind und eine Grunderkrankung haben. Das sind die Fälle, wo es zu Todesfällen kam. Was wir bisher noch nicht wissen, ist, wie leicht das Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.
Was ist über die Übertragungswege bisher bekannt?
Die ersten Infektionen haben in Wuhan auf den Märkten stattgefunden, erst in zweiter Linie hat sich das Virus von Mensch zu Mensch ausgebreitet. Nun zeigt sich allerdings, dass die Menschen schon ansteckend sind, noch bevor sie Krankheitssymptome zeigen. Daher können wir nicht sagen, wie sich die Ausbreitung weiter entwickelt. Die Einschätzung des europäischen Zentrums für Krankheitskontrolle (ECDC) ist: Menschen in den betroffenen Regionen haben ein Risiko sich anzustecken, das mit der Influenza, der echten Grippe, vergleichbar ist. Eine infizierte Person steckt zwei weitere an – das ist eine übliche Verbreitungsgeschwindigkeit für Viren, die über Tröpfcheninfektion weiter gegeben werden. Das betrifft aber nur China.
Was bedeutet das für Europa - und Österreich?
Das Risiko, dass das Virus importiert wird, ist laut ECDC moderat – das heißt, durch den Reiseverkehr ist es natürlich möglich, aber wir dürfen keine Panik haben. Jene Menschen, die bisher betroffen waren, kamen alle aus der betroffenen Region. Bis dato sind noch nirgendwo anders Fälle aufgepoppt und es gab auch noch keine Mensch-zu-Mensch-Ansteckung außerhalb von China. Die eingeschleppten Fälle wurden sehr rasch erkannt, weil wir das Virus eindeutig diagnostizieren können.
Was passiert, wenn ein Verdachtsfall auftritt?
Diese Betroffenen werden dann in Isolierstationen untergebracht, die Menschen werden abgeschirmt und es kann keine Ansteckung mehr erfolgen. Dafür gibt es klare Einsatzpläne, wie mit solchen Verdachtsfällen umgegangen wird. Damit verhindern wir, dass die Ansteckung unkontrolliert weiter läuft.
Wie bewerten Sie die Maßnahmen der chinesischen Behörden?
Die chinesischen Behörden verhalten sich vorbildhaft. Wenn wir ein Virus haben, gegen das es keine Therapie gibt – was auf die meisten Viren zutrifft -, kann man die Verbreitung nur verhindern, indem man die Infektionskette unterbricht. Das heißt: Abschirmung und Abschottung ist die einzige Möglichkeit, die Weiterverbreitung zu stoppen. Wenn diese Infektionskette von Mensch zu Mensch durchbrochen ist, kann die Epidemie eingedämmt und gestoppt werden – das haben wir auch bei SARS gesehen. Ob es funktioniert und wie lange es dauert, werden wir sehen.
Die Zahl der Toten steigt immer weiter an: Ist das Virus gefährlicher als am Anfang gedacht?
Es ist weiterhin so, dass die Todesfälle vor allem Menschen betreffen, die älter sind und schon eine Grunderkrankung hatten. Ob sich das noch ändert, können wir schwer abschätzen. Die Sterblichkeitsrate liegt bei 4 bis 14 Prozent, das entspricht der Sterberate solcher Viruserkrankungen. Zum Vergleich: Bei MERS hatten wir eine Sterberate von 35 Prozent. Das war ein viel gefährlicheres Virus. Das neue Coronavirus verhält sich sehr ähnlich wie SARS – und das ist auch nicht überraschend, schließlich sind die beiden Viren zu 70 Prozent genetisch ähnlich.
Rund um das Coronavirus herrscht Hysterie, gleichzeitig haben wir in Österreich gerade eine Influenza-Epidemie – in welcher Relation muss man das sehen?
Ja, es herrscht eine große Aufregung, weil es etwas Neues gibt – aber wir dürfen die Relation nicht aus den Augen lassen! Die Einschleppung des Coronavirus' ist überschaubar, wir sind gut gerüstet. Wo wir aber gar nicht gut aufgestellt sind, das ist die Influenza: Hartnäckig wird diese Krankheit von allen unterschätzt, es wird ignoriert, dass jedes Jahr 1000 Menschen durch die Influenza sterben – entweder direkt durch die Grippe oder an Folge-Infektionen. Mir ist es ein Rätsel, dass das Auge lieber in die Ferne schweift und davor Angst hat, was in China passiert. Wir sollten erkennen, dass für unsere Situation in Österreich die Influenza-Welle viel dramatischer ist. Mit dem Unterschied, dass es gegen die Influenza eine Impfung gibt. Dazu kommt, dass die Influenza ganz ähnliche Symptome macht wie das neue Virus: Wenn nun jeder, der einen Infekt hat, glaubt, er hat das Coronavirus, muss ich sagen: Es kann viel gefährlicher sein, die Influenza zu haben.
Ist schon klar, von welcher Tierart das Virus stammt?
Chinesische Forscher haben sich verschiedene Quellen in Tieren angeschaut – die größte Ähnlichkeit wurde bei der chinesischen Kobra, einer Giftnatter, gefunden. Das ist auch erklärbar durch die Essensgewohnheiten: Auf diesen Märkten werden auch Kobras verkauft und gegessen, teilweise wurde auch berichtet, dass das Blut der Schlangen getrunken wird. So kann es sein, dass das Virus über die Nahrungsaufnahme übertragen wurde – geklärt ist es aber noch nicht.
Wie läuft die Suche nach einer Impfung?
Es wird bereits an einem Impfstoff gearbeitet - der Vorteil ist: Es wurden schon für SARS und MERS Impfstoffe entwickelt, die aber nicht fertig getestet werden konnten, weil die Epidemie zu Ende war. Somit gibt es schon ein Grundgerüst, auf das man aufbauen kann. Das wird auch davon abhängen, wie sich diese Epidemie verhält: Kann sie völlig gestoppt werden oder wird daraus ein Virus, das in die Infektionskette des Menschen eingebaut wird? MERS und SARS konnten schon dadurch zurückgedrängt werden, dass man die Quelle fand und unterbinden konnte – die Viren zirkulierten dann nicht mehr. Das kann auch bei diesem Virus der Fall sein – es kann aber auch sein, dass sich das Virus etabliert und immer wieder, wie die Influenza, in unser Leben Einzug hält.