Unsere Vorfahren in der Steinzeit hatten zwar noch keine Mobiltelefone, aber trotzdem keine ruhige Minute. Damals lauerten überall Gefahren und die waren um einiges brenzliger als ein Anruf vom Chef in der Freizeit. Wer nur einen Moment unachtsam war, konnte sich im Angesicht eines Raubtieres wiederfinden. Wollte man überleben, musste man in Bruchteilen einer Sekunde bereit sein: für Kampf oder Flucht. Nur so hatte man eine Chance gegen den Säbelzahntiger.
Schneller, stärker, höher
„Adrenalin ist die Substanz, die unseren Körper in einer bedrohlichen Lebenssituation innerhalb von Sekunden ‚generalmobilisiert‘ und uns befähigt, schneller zu laufen, schwerer zu heben und höher zu springen, als wir es je für möglich gehalten hätten“, sagt Adelheid Kresse, Dozentin für Neuropathophysiologie an der Med Uni Graz.
Wird das Hormon freigesetzt, kann unser Körper schnell Energiereserven anzapfen und wahre Superkräfte entwickeln. Adrenalin wird wie viele unserer Hormone konstant ausgeschüttet. In Lebensgefahr und in akuten Stresssituationen erhöht sich die freigesetzte Menge, es übernimmt dann wichtige Aufgaben im Überlebensmodus. Wobei Überlebensmodus heute nicht mehr wortwörtlich genommen werden muss.
Das kann auch bedeuten, im Alltag durchzuhalten: Deadlines zu schaffen, nicht von der Arbeit begraben zu werden oder sich bei einem Vortrag einer großen Menge an Zuhörern zu stellen. Kresse: „Adrenalin steigert in solchen Fällen Herzfrequenz und Schlagkraft, es verengt kleine Blutgefäße in der Haut und den Nieren, was für eine Erhöhung des Blutdruckes und eine bessere Blutversorgung der Skelettmuskulatur sorgt.“ Fettdepots und Zuckerspeicher werden abgebaut, sie liefern Energie.
„Prozesse, die in Belastungssituationen weniger wichtig sind, dazu gehört etwa die Verdauung, werden gehemmt“, erklärt Florian Ettl, Notfallmediziner der MedUni Wien. „Der trockene Mund in einer Stresssituation ist ein weiteres Beispiel für die Adrenalinwirkung.“ Indem sich unser Körper aufs Wesentliche konzentriert, kann er existenziellen Bedrohungen entgegenwirken.
Lebenswichtige Funktionen
Haben wir die Flucht trotz allem nicht geschafft oder einen kritischen Punkt erreicht, zum Beispiel infolge eines Unfalls viel Blut verloren, erhält Adrenalin lebenswichtige Körperfunktionen aufrecht – und genau das macht man sich in der Notfallmedizin zunutze. Ettl erklärt: „Eine klassische Anwendung ist die Adrenalingabe während der Wiederbelebung beim Atem-Kreislaufstillstand. Auch bei einer schweren allergischen Reaktion, dem anaphylaktischen Schock, wird Adrenalin verabreicht.“ Die Epi-Pen – von Epinephrin, einem anderen Namen für Adrenalin –, macht genau das: eine Dosis Adrenalin bereitstellen. „Diese können sich Allergiker selbst verabreichen, um die Zeit zu überbrücken, bis die Rettung eintrifft“, so Ettl.
Adrenalin-Junkies? Nicht ganz
Weil wir heute keine Angst mehr vor Säbelzahntigern haben müssen, suchen wir uns andere Herausforderungen. Wir springen von Brücken und aus Flugzeugen, rasen mit Hunderten Stundenkilometern über Rennstrecken oder ungesicherte Skipisten hinunter. Wir laufen dabei stets Gefahr, zu viel Risiko einzugehen. Warum wir es trotzdem tun? „Der Körper will auch für Belastungen im Rahmen von Extremsportarten gerüstet sein und schüttet vermehrt Adrenalin aus“, so Ettl. Wir fühlen uns stark, mächtig und unverwundbar.
Der Begriff Adrenalinjunkies stimmt trotzdem nicht ganz. Wir werden zwar vom Hochgefühl nach einem Fallschirmsprung süchtig, das hat aber weniger mit Adrenalin als vielmehr mit dem Glückshormon Dopamin zu tun. Kresse: „Gleichzeitig mit der Adrenalinwelle wird bei jeder erfolgreichen Bewältigung einer Stresssituation der Neurotransmitter Dopamin ausgeschüttet und wirkt im Belohnungssystem. Das sorgt für ein ‚Dopamin-High‘, welches man immer wieder erleben möchte.“
Sabrina Luttenberger