Frau Zachenhofer, Ihr Buch heißt „Abnehmen für hoffnungslose Fälle“. Braucht die Welt wirklich noch einen Diät-Ratgeber?
Iris Zachenhofer: Mein Kollege Shird Schindler und ich haben das Buch geschrieben, weil wir glauben, dass ein Faktor in der bisherigen Diät-Literatur fehlt: dass es Essen gibt, das süchtig machen kann. Ausschlaggebend war eine Studie mit Ratten, wo sich gezeigt hat: Hatten die Tiere die Wahl zwischen Kokain, Heroin oder Oreo-Keksen, wählten sie immer die Kekse – denn diese lösten im Gehirn den stärksten Ausstoß von Neurotransmittern aus. Die Kekse wirken also wie Drogen – das passiert auch im menschlichen Gehirn. Das ist auch ein zentraler Grund dafür, warum das Abnehmen bei vielen Menschen nicht funktioniert.
Abnehmen wäre damit mit einem Entzug vergleichbar: Doch wie entsteht die Sucht?
Bestimmte Nahrungsmittel sind stark verarbeitet und so hergestellt, dass man sehr schnell sehr viel davon isst. Das bewirkt im Gehirn eine Ausschüttung von Glückshormonen. Dadurch kann man nicht einfach sagen: Ich höre auf damit, ich esse das nicht mehr – man hat sich daran gewöhnt, ganz ähnlich, wie man sich an eine Droge gewöhnt. Es gibt Unmengen an Information darüber, was wir essen sollen und was nicht – aber der Faktor Sucht ist wichtig, denn die Menschen glauben oft, sie sind willensschwach oder faul, wenn die Ernährungsumstellung nicht funktioniert. Dabei lösen diese Lebensmittel im Gehirn ein süchtiges Verhalten aus, das man nicht einfach ablegen kann.
Wie erklären Sie das als Psychiaterin?
Durch diese stark verarbeiteten Lebensmittel entsteht ein Craving, also ein sehr starkes Verlangen. Das chemische Craving bekommen wir, weil diese Lebensmittel sehr dicht gemacht werden: Sie enthalten sehr viel Kalorien, Fett und Zucker, aber sehr wenig Flüssigkeit, kaum Fasern und Ballaststoffe – mit dem Ziel, dass man eine hohe Dosis an Energie hat, nach der wir gieren. Die gehärteten Fette können außerdem im Sättigungszentrum im Gehirn Entzündungen auslösen: Im Tierversuch zeigte sich, dass das ganze Hunger-Sättigungs-Regelsystem durcheinanderkommt. Wenn wir natürliche Lebensmittel essen, entsteht nie ein solches Craving.
Von welchen Nahrungsmitteln sprechen wir jetzt konkret?
Ganz künstliches Eis, Fertigpizza, ganz süße Schokolade, fertige Kuchen: Da können wir einfach nicht aufhören, auch wenn wir rational wissen: Das ist nicht gesund, das macht dick. Wir schlagen aber vor, dass jeder selbst überlegt: Welche Lebensmittel sind für mich problematisch?
Woran erkenne ich süchtiges Verhalten an mir selbst?
Wichtige Fragen sind: Welchen Raum nimmt Essen in meinem Leben ein? Denke ich den ganzen Tag ans Essen oder an die Frage: Darf ich heute noch was essen? Und wenn man das Gefühl hat: Ich kann nicht aufhören, obwohl der Arzt schon warnt, die Gelenke schon schmerzen – dann weist das auf süchtiges Verhalten hin.
Was ist in diesem Fall zu tun?
Das Wichtigste ist, einen Plan zu haben. Der erste Schritt sollte sein, das eigene Essverhalten zu analysieren und eine schwarze Liste zu erstellen: Welche Lebensmittel esse ich, auf welche werde ich verzichten? Jeden Tag sollte man abends analysieren: Wie stark war meine Gier? Warum bin ich schwach geworden? Wann kippe ich in alte Muster? Was kann ich aus Rückschlägen lernen? Es gibt ja auch das emotionale Craving: Dabei erleben wir unangenehme Gefühle und greifen zum Essen.
Braucht es auch einen Ersatz, eine Art Substitution für die Sucht-Lebensmittel?
Das gute, gesunde Essen entspricht der Substitution. Es soll die Entzugsbeschwerden vermindern und konstant satt machen. Wichtig ist zum Beispiel, dass man genug Eiweiß zu sich nimmt, denn das bewirkt ein stärkeres Sättigungsgefühl im Kopf. Aber dazu gehört auch, dass man lernt, mit seinen Emotionen und Anspannungen umzugehen – ich bin meinem Hungergefühl nicht ohnmächtig ausgeliefert, sondern kann etwas dagegen unternehmen.