Es war der 19. Jänner 2018, als sich das Leben von Daniel Friedwagner dramatisch veränderte. Ein Gabelstapler im Rückwärtsgang hatte ihn übersehen und verletzte sein linkes Bein schwer – eine Vielzahl von Knochenbrüchen, eine große Fleischwunde, ein abgestorbenes Fersenbein waren die Folge. „Als auch noch eine Infektion dazukam, mein ganzes Bein schon betroffen war, hatte ich eigentlich keine Wahl mehr: Es wurde amputiert“, erinnert sich der heute 31-Jährige an diese „sehr schwierige“ Zeit. „Du darfst nicht zu viel nachdenken, ich habe mich auf meine kleine Tochter konzentriert, wollte für sie wieder gesund werden“, sagt Friedwagner.
Heute ragt dort, wo zuvor sein linker Unterschenkel war, ein Metallstift aus dem Beinstumpf. Dieser wird das Bindeglied sein zwischen Friedwagner und seiner Prothese – dafür sorgt Oskar Aszmann, Pionier auf dem Gebiet der bionischen Rekonstruktion von Gliedmaßen an der MedUni Wien.
„Bionik verläuft an der Grenze von Mensch und Maschine“, sagt Aszmann, während er untersucht, wie gut das Verbindungsstück in Friedwagners Bein eingewachsen ist. Acht Zentimeter tief steckt das Metallstück in seinem Knochen: „Wenn die Prothese direkt mit dem Skelett des Patienten verbunden ist, kann er sie viel präziser steuern“, erklärt Aszmann im Kreise seines Teams, zu dem Psychologen, Prothesentechniker und Physiotherapeuten gehören.
In elektrischer Impulse umgewandelt
Berühmt wurden Aszmann und sein Team für die ersten „gedankengesteuerten“ Handprothesen, die sie für junge Unfallopfer anfertigten: Die Patienten steuern die Prothesen über Muskelkraft – die Signale der Muskeln im Arm werden in elektrische Impulse umgewandelt, die wiederum von Sensoren in der Prothese erkannt werden und die Servomotoren der Prothese steuern. Wasser aus einem Krug schenken, einen Ball aufheben: All das konnten die Patienten dank bionischer Prothesen wieder leisten.
Ein volles Wasserglas zu tragen – das war für Christian Schidl der große Erfolgsmoment. Dass mit dem linken Arm des jungen Waldviertlers etwas nicht stimmt, sieht man erst auf den zweiten Blick. Bei einem Autounfall im Jahr 2014 wurde jenes Nervengeflecht in seiner Schulter zerstört, das den Arm und die Hand steuert. Im August 2017 entschied er sich dafür, sich von Aszmann operieren zu lassen – bis dahin hatte er seinen Arm immer in einer Schlinge getragen. Ein Teil seines größten Rückenmuskels wurde dabei an die Stelle des linken Bizeps transplantiert – das heutige Ergebnis beurteilt Aszmann als „hervorragend“.
Muskeln transplantieren, die dann wieder an die Nerven angeschlossen werden, die bis dato keinen Anknüpfungspunkt mehr hatten: Auch das ist Teil der rekonstruktiven Arbeit, die Aszmann und sein Team leisten. „Die Kabel neu verlegen“ nennt der Spezialist diese Eingriffe, die auch oft notwendig sind, bevor eine bionische Prothese zum Einsatz kommen kann.
Mit Gedanken gesteuert
Es sind nicht nur Patienten, die eine Gliedmaße verloren haben, die mit solchen modernen Prothesen leben – es sind auch Menschen, deren Hand zwar noch da ist, aber ihre Funktion verloren hat. Patrick hieß der erste Patient, der durch Aszmann eine „gedankengesteuerte“ Prothese bekam – durch einen schweren Stromunfall war seine linke Hand funktionslos geworden. Der junge Elektriker entschied sich für die Amputation, um die Hand wenig später durch eine bionische Prothese zu ersetzen. Auch an diesem Tag wird Aszmann noch zwei solcher Patienten sehen, die sich für eine sogenannte elektive Amputation der funktionslosen Hand entschieden haben.
Das geht unter die Haut
An der Grenze von Mensch und Maschine denkt Aszmann schon einen Schritt weiter: In einer aktuellen Forschungsarbeit werden in Kooperation mit dem Prothesenhersteller Otto Bock Sensoren getestet, die unter der Haut direkt an den Muskel implantiert werden. Bisher liegen die Sensoren, über die Prothesen gesteuert werden, auf der Haut – Schwitzen oder Bewegungen können die Übertragung stören. Das fällt bei Sensoren, die unter der Haut liegen, weg – außerdem sind die Signale viel stärker, die Patienten lernen viel schneller, damit umzugehen. Aszmann ist überzeugt: „Dass wir Prothesen aus dem Leib heraus steuern, werde ich in meiner Laufbahn noch erleben. Das ist für mich Bionik in höchster Form.“
Nicht jeder ist für eine Prothese geeignet
Doch nicht jeder Patient ist dafür gemacht. „Unser typischer Patient ist jung und hat durch einen Unfall oder einen Tumor eine Gliedmaße verloren“, sagt Aszmann. Bevor mit komplexen Rekonstruktionen begonnen wird, durchlaufen Patienten Interviews mit einer Psychologin: „Wir müssen sicherstellen, dass sie psychisch und kognitiv geeignet sind“, sagt Aszmann.
Das Verbindungsstück, das aus Friedwagners Bein ragt, hat der junge Vater nie als Fremdkörper gesehen: „Es ist eine Hilfestellung dafür, dass ich bald die Hände frei habe“, sagt Friedwagner und macht sich auf zwei Krücken auf den Heimweg.