Die Sphinx, ein Greif, die Zentauren: Mythologisch Geschöpfe wie diese kommen einem in den Sinn, wenn man das Wort Chimäre hört. Doch nun wird das Fabelhafte zum Wissenschaftlichen: Der japanische Forscher Hiromitsu Nakauchi bekam die Erlaubnis, Mischwesen aus Tier und Mensch nicht nur erzeugen, sondern bis zur Geburt heranreifen zu lassen.

Empörte Aufschreie folgten auf den Fuße, zum Beispiel sah SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach einen „ethischen Megaverstoß“ – eine Reaktion, die weder Forscher noch Ethik-Experten teilen. Daher lohnt es, die Fakten zu klären, bevor man sich der Empörungswelle hingibt.

Menschliche Bauchspeicheldrüse in Nagern

„Gehen wir davon aus, dass eine Chimäre zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Tier ist, stimmt es natürlich nicht, bei Nakauchis Forschung von solchen Mischwesen zu sprechen“, sagt Jürgen Knoblich, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und führender Stammzellforscher.

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Was der japanische Wissenschaftler tatsächlich vorhat: Nakauchi will Embryonen von Mäusen und Ratten genetisch so verändern, dass sie keine eigene Bauchspeicheldrüse haben. In diese Embryonen werden menschliche Stammzellen (iPS-Zellen) eingebracht – mit dem Ziel, dass sich in den Nagern eine menschliche Bauchspeicheldrüse entwickelt.

Die Forschung dient einem „sehr, sehr wichtigen Zweck“, wie Knoblich unterstreicht: Das langfristige Ziel ist, Menschen, die auf eine Organspende warten, zu versorgen und diese Spenderorgane in Tieren wachsen zu lassen. „Skeptikern empfehle ich, mit Patienten zu sprechen, die seit Jahren auf eine Spenderorgan warten“, sagt Knoblich. Und unterstreicht außerdem: In Japan musste das Gesetz für Nakauchis Forschung geändert werden, in Österreich wäre diese Forschung laut Knoblich schon jetzt erlaubt.

Menschliche Zellen dürfen nicht ins Gehirn gelangen

Markus Hengstschläger, Humangenetiker und stellvertretender Vorsitzender von Österreichs Bioethikkommission sagt gegenüber der Kleinen Zeitung: „Grundsätzlich ist dieser Ansatz, neue Konzepte für Organersatz zu entwickeln, begrüßenswert.“

Hengstschläger sieht Transparenz und die lückenlose Überwachung der Resultate als zentrale ethische Kriterien an – auch, um zu verhindern, dass sich menschliche Zellen in anderen Organen des Tieres, vor allem im Gehirn ansiedeln. „Ich schließe mich dem internationalen Konsens an, dass es hierbei Grenzen geben muss.“ So sieht Christiane Woopen, Vorsitzende des europäischen Ethikrats, in den Plänen keine Grenzüberschreitung, stellt aber auch klar: „Voraussetzung ist, dass in Tieren keine Fähigkeiten entstehen, die sonst nur bei Menschen vorkommen.“

Wie vielversprechend ist der Ansatz überhaupt? „Nakauchi betreibt Grundlagenforschung, es geht nicht darum, tatsächlich menschliche Organe in Mäusen zu züchten“, sagt Knoblich – dafür wären die Tiere ja auch viel zu klein. Vielmehr soll untersucht werden, ob die menschlichen Zellen in einem fremden Organismus wie einer Maus überhaupt heranwachsen können.

In einem nächsten Schritt plant Nakauchi die Versuche auch mit Schweine-Embryos durchzuführen – was für Knoblich schon problematischer ist, da Schweine Menschen viel näher sind und zu 100 Prozent sichergestellt sein müsste, dass keine menschlichen Zellen ins Gehirn abwandern.

„Es wird noch sehr viel Forschung notwendig sein, um herauszufinden ob dieser Ansatz in der Tat zu neuen, am Menschen anwendbaren Therapien über so hergestellte Organe führen kann“, sagt Genetiker Hengstschläger. Auch Knoblich sieht den Ansatz als sehr vielversprechend an – „ich habe aber keine Hoffnung, dass es noch in meiner Lebenszeit funktionieren wird.“

Organe aus dem Labor oder dem Drucker

Auch ist Nakauchis Forschung nur einer der Wege in der Suche nach neuen Quellen für Organersatz: Knoblich selbst forscht erfolgreich an Organoiden, also Mini-Organen, die aus Stammzellen im Labor wachsen. Außerdem gibt es den Ansatz, tierische Organe so aufzubereiten, dass sie Menschen transplantiert werden können oder Organe aus dem 3-D-Drucker herzustellen.

Der vielversprechendste Weg? Hier will sich Knoblich nicht festlegen, sagt aber: „Ich denke, dass wir schon bald Erfolge mit Zelltherapien sehen werden.“ So brauche es, um Diabetes Typ 1 zu heilen, ja keine komplette Bauchspeicheldrüse, sondern nur einen Ersatz für jene Zellen, die bei der Krankheit nicht funktionieren. Das gilt auch für die Parkinson-Erkrankung, wo Dopamin-produzierende Zellen im Gehirn absterben. Teams in den USA und in Schweden forschen gerade daran, diese Zellen durch Stammzellen zu ersetzen. „Hier erwarte ich schon in naher Zukunft Ergebnisse“, sagt Knoblich.