1. Hat multiple Sklerose durch neue Therapien den Schrecken verloren?
„Ja, das Gesicht der MS hat sich gewandelt“, sagt Neurologe Christian Enzinger (Med Uni Graz). Das liege daran, dass die Krankheit früher und durch moderne Verfahren schneller erkannt werde. Doppelt so viele Patienten erhalten ihre Diagnose bereits im ersten Jahr, in dem Symptome auftreten. So starte auch die Therapie früher: „Damit können wir in den meisten Fällen verhindern, dass Patienten in ein fortgeschrittenes Stadium kommen“, sagt Enzinger. „Die überwiegende Zahl der Patienten mit schubförmigen MS können wir dank moderner Therapien hervorragend behandeln und im Berufsleben halten.“ MS-Patienten hätten heute deutlich weniger Einschränkungen als noch vor zehn Jahren.
2. Helfen neue Therapien allen Patienten?
„Wir können heute das ganze Spektrum der MS behandeln“, sagt Enzinger. Auch für jene Verlaufsformen, für die es bis vor kurzem keine Therapie gab (primär progrediente Form), stehen nun Medikamente zur Verfügung. Diese Antikörper greifen ganz gezielt in die fehlgeleitete Immunantwort ein, die der Auslöser der MS ist. Dabei wird im Immunsystem quasi die Balance zwischen Aktivierung und Regulierung wieder hergestellt. Aber: „Es gibt noch immer tragische Schicksale durch Multiple Sklerose, das sind meist Patienten, die nicht von medizinischen Errungenschaften der letzten fünf bis zehn Jahre profitiert haben“, sagt Enzinger.
3. Was sind typische Symptome?
Typisch ist zum Beispiel eine Sehnerv-Entzündung, die mit schlechterem Sehen und Schmerzen beim Bewegen des Auges einhergeht, erklärt Enzinger. Ein anderes typisches Symptom sind Gefühlsstörungen, die aufsteigend von den Beinen bis zum Oberkörper auftreten und durch eine Entzündung des Rückenmarks ausgelöst werden. Die Beschwerden werden häufig fälschlicherweise auf die Bandscheiben geschoben. „Die Symptome müssen zumindest über 24 Stunden bestehen und schlechter werden. Nicht jedes Kribbeln ist ein Zeichen für MS“, sagt Enzinger. Betroffen sind vor allem junge Erwachsene, Frauen drei Mal häufiger als Männer.
4. Was können Patienten selbst tun?
Laut Enzinger ist körperliches Training wesentlich: „Früher sagte man den MS-Patienten, sie sollen sich schonen. Heute wissen wir, dass Bewegung und Physiotherapie Hilfsnetzwerke im Gehirn aktivieren können und Patienten mit den Schäden dann viel besser zu recht kommen.“ Enzinger mahnt aber auch: „Patienten mit einer aggressiven Form der MS zu sagen: Sie müssen sich nur bewegen und alles wird gut, ist zynisch und nicht ratsam.“
5. Welche Rolle spielt Vitamin D?
Um das Hormon ist ein regelrechter Hype ausgebrochen, sagt Enzinger: Es stimmt, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel das Risiko für eine MS-Erkrankung erhöht. Schon lange ist bekannt, dass MS in nördlichen Ländern viel häufiger ist als rund um den Äquator, wo es mehr Sonnenstunden gibt. „Unsere Patienten bekommen Vitamin D als Zusatz, in normaler Dosis“, sagt Enzinger. Der Neurologe warnt eindringlich vor Quacksalbern, die extrem hoch dosierte Vitamin-D-Kuren als Heilmittel für MS anpreisen. In Salzburg gebe es schon einen MS-Patienten, der durch hoch dosiertes Vitamin D ein Nierenversagen erlitt und nun Dialyse-Patient sei.