Wird die Einsamkeit zur neuen Volkskrankheit?

Eine Untersuchung in 78 Ländern über mehr als 50 Jahre zeigt, dass die Einsamkeit weltweit zunimmt. In den EU-Ländern fühlen sich je nach gemessener Intensität zwischen acht und 55 Prozent der Menschen einsam. „Einsamkeit wurde von der Wissenschaft als einer der Hauptfaktoren für die Gefährdung der psychischen und körperlichen Gesundheit erkannt“, sagt Günter Klug, Präsident von pro mente Austria.

Einsamkeit ist so ungesund wie Arbeitsstress oder Rauchen und macht auf Dauer krank. Insbesondere psychisch Kranke, Ältere und Jugendliche seien zunehmend von Einsamkeit betroffen, warnte Klug.

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Dass Einsamkeit die Gesundheit massiv gefährdet, ist durch wissenschaftliche Studien eindeutig belegt. „Das Gefühl der Einsamkeit ist an sich eine gesunde Stressreaktion: Es zeigt, dass es uns an den notwendigen sozialen Kontakten mangelt“, sagt Klug. Bei längerer Einsamkeit wird die Stressreaktion allerdings chronisch und der Körper reagiert mit der Ausschüttung eines Kortison-ähnlichen Stoffes.

Einsamkeit macht körperlich krank

Dadurch werden die körpereigenen Abwehrkräfte geschwächt, die Anfälligkeit für Infektionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt, Erkrankungen wie Alzheimer können früher auftreten.“ Die Gesundheitsgefährdung durch soziale Desintegration entspricht etwa jener durch Rauchen, Arbeitsstress und Angst. „Wer sozial isoliert ist, hat ein 2- bis 3mal so hohes Risiko, in einem bestimmten Zeitraum zu sterben. Lang dauernde Einsamkeit ist ein Killer“, sagt Klug.

Psychisch erkrankte Menschen sind besonders von Einsamkeit betroffen. Naheliegend ist es, Einsamkeit als ein Problem älterer Menschen anzusehen. Klug: „Untersuchungen zeigten jedoch auch, dass Kinder und Jugendliche sich an doppelt so vielen Tagen einsam und isoliert fühlen wie Erwachsene.“

Großer Aufholbedarf

Psychisch erkrankte Menschen sind besonders von Einsamkeit betroffen, da sie meist ohnehin schon kleinere soziale Netzwerke haben. Für Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie oder Sucht ist Einsamkeit ein Leitsymptom. "Im Vergleich zu Patienten mit körperlichen Erkrankungen hat sich die Versorgung psychisch kranker Menschen in Österreich in den letzten Jahren zwar verbessert, dennoch besteht noch großer Aufholbedarf", kritisierte pro-mente-Vizepräsident Gernot Koren.

Die Hauptgründe für das Zunehmen der Einsamkeit sind laut Klug: Immer mehr Menschen wohnen in Städten, Einzelhaushalte werden mehr, und auch die sozialen Medien verändern die Gesellschaft. 

Rolle der sozialen Medien

Immer mehr Zeit werde mit neuen Medien verbracht, "reale" Kontakte kommen zu kurz. Acht- bis Zwölfjährige hätten heutzutage täglich zwei Stunden reale Sozialkontakte, verbrächten aber rund sieben Stunden vor einem Bildschirmmedium. "Dadurch wird das Erlernen von Mitgefühl beeinträchtigt", erläuterte Klug, "es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Empathie, aber auch zwischen Medienkonsum und Depression".

Weil sie beim Vergleich mit der idealisierten Darstellung anderer vermeintlich schlecht abschneiden, ziehen sich viele Jugendliche stärker zurück. Gerade bei der ab 2000 geborenen "Generation M" seien durch die Mediennutzung große Unterschiede erkennbar: Diese ist offenbar zuversichtlicher, selbstbewusster und auch selbstverliebter und werde als "Look at me"-Generation bezeichnet.