Fasten steckte lange in der Ecke des Esoterischen - hat sich das Konzept nun rehabilitiert und ist in der Medizin angekommen?
THOMAS PIEBER: Zu Beginn hatte Fasten eine starke religiöse Komponente: Es gibt wohl keine Weltreligion, in der Fasten und Askese nicht reinigende Funktion haben, körperlich und geistig. In Zeiten des Überflusses ist Fasten in die Esoterik gewandert und ja, Fasten kommt jetzt auch in der Medizin an. Aber: Fasten ist noch immer ein Außenseiterthema. Das liegt daran, dass es sich gegen den medizinischen Mainstream stellt: Die Medizin will für jedes gesundheitliche Problem neue Medikamente entwickeln. Die Forschung zum Fasten ist auf ein paar Gruppen weltweit verteilt, doch vor allem in der Ernährungsmedizin herrscht noch der Diätenwahn vor.
Sie sagen, die Ernährungsmedizin hat versagt?
Wenn die Ernährungsmedizin bisher funktioniert hätte, hätten wir das Problem Übergewicht nicht. Es steckt ja auch eine Milliardenindustrie dahinter, die verzweifelten Übergewichtigen alle möglichen Diäten verkaufen will. Am Ende steht immer das gleiche Ergebnis: Nach einer kurzen Abnehmphase steht der Patient mit dem Jo-Jo-Effekt und noch mehr Gewicht da.
Was ist der große Unterschied zwischen einer Diät und Fasten?
Wenn wir eine gewisse Anzahl von Stunden keine Kalorien zu uns nehmen, werden in unserem Zellstoffwechsel regenerative Prozesse ausgelöst, die einen Reinigungseffekt in der Zelle zur Folge haben. Die Zelle tut Folgendes: Sie recycelt und verbrennt die Müllsäcke, die sich in ihr angesammelt haben. Das ist ein Vorgang, der für die Zellatmung und die Regeneration extrem wichtig ist. Bei allen Modellorganismen, von Würmern bis Mäusen, hat Fasten die Lebensspanne verlängert, um bis zu 30 Prozent.
Welche Effekte hat Fasten auf das Körpergewicht?
In einer Untersuchung wurden Mäuse in zwei Gruppen unterteilt und sie bekamen gleich viele Kalorien zu essen, doch eine Gruppe musste zwischendurch fasten, die andere konnte rund um die Uhr essen. Jene Mäuse, die nicht gefastet haben, wurden dick, die Mäuse mit Fastenphasen nicht, und das, obwohl sie genau gleich viele Kalorien gegessen haben. Ob das bei Menschen genauso gilt, untersuchen wir gerade. Aber es ist naheliegend, dass das ein ganz grundlegender, von der Evolution festgelegter Schutzmechanismus ist, der uns vor dem Verhungern schützt und gleichzeitig die Zellen erneuert.
Das klingt, als würden wir durchs Fasten zu unseren Wurzeln zurückkehren.
Ja, das stimmt. Als unsere Vorfahren noch als Jäger und Sammler gelebt haben, gelang es mit großer Kraftanstrengung, ein Mammut zu erlegen. Dann gab es für alle sehr viel zu essen, doch dazwischen lagen Hungerphasen. Wir sind erst heute in einer Situation, wo es Frühstück, Vormittagsjause, Mittagessen, Abendessen und ein Betthupferl gibt - Essen war nie so verfügbar. Und die Evolution hat uns mit mindestens hundertzwanzig Mechanismen ausgestattet, die uns vor dem Verhungern schützen, aber nur mit zwei oder dreien, die uns vor dem Zu-dick-Werden schützen.
Die positiven Effekte des Fastens wurden bisher aber nur bei Würmern oder Mäusen gezeigt. Was wissen wir über die Wirkung beim Menschen?
Das ist genau das, wo wir mittendrin stecken. Wir können nicht hergehen und 20-Jährige für die nächsten 70 Jahre beobachten, um zu sehen, ob sie durchs Fasten länger leben. Wir müssen uns mit kurzfristigeren Untersuchungen zufriedengeben: Die Ergebnisse unserer Studie dazu werden bald veröffentlicht.
Können Sie schon verraten, was Sie zeigen konnten?
Wir haben bei gesunden und normalgewichtigen Menschen untersucht, wie sich Fasten auf Stoffwechsel, Blutdruck und die Herzfunktion auswirkt. Wir haben dramatische Verbesserungen beim Zuckerstoffwechsel gesehen, darum untersuchen wir jetzt, wie Fasten Menschen mit Diabetes helfen kann. Und auch die Herzfunktion hat sich dramatisch verbessert.
Können Sie als Arzt schon eine Empfehlung fürs Fasten aussprechen?
Wir wissen, dass es für Menschen, die gesund sind, absolut ungefährlich und wahrscheinlich hilfreich ist, zwei oder drei Fastentage in der Woche einzulegen. Ich mache das so: An zwei bis drei Tagen pro Woche faste ich für 16 bis 20 Stunden. Es braucht ein paar Wochen, bis sich der Körper daran gewöhnt, doch dann verschwindet auch der Hunger.