Eine Überdosis Vitaminpräparate, die beinahe zu einer Leberzirrhose geführt haben. Eine Krebspatientin, die sich einzig und allein auf die Heilsversprechen eines Alternativmediziners verließ und mit 48 Jahren an einem Brusttumor starb, der gut behandelbar gewesen wäre. Eine übersehene Nierenbeckenentzündung, weil die Kinesiologin der Meinung war, Stress allein sei schuld an den Schmerzen. Ein lebenswichtiges Medikament, das abgesetzt wurde, weil es das Pendel einer Heilerin so angezeigt hat.
Solche Patientenschicksale, ausgelöst durch Scharlatane in der Alternativmedizin, listen Arzt Ashish Bhalla und Gesundheitswissenschaftler Christian Wolf in ihrem aktuellen Buch „Böse Heiler“ auf. „Die Häufigkeit von Fällen, bei denen es durch Scharlatane zu drastischen Gesundheitsproblemen kommt, hat in den letzten Jahren stark zugenommen“, sagt Bhalla.
Alternativmedizin hat Grenzen
Er ist selbst Allgemeinmediziner und Ayurveda-Arzt und bezeichnet sich daher als Komplementärmediziner - er verbindet Schulmedizin mit anderen Heilverfahren. Denn: „Auch, wenn ich selbst sehr viel mit Kräutern oder Lebensstilmaßnahmen arbeite, es gibt Grenzen für diese Medizin“, sagt Bhalla. „Doch diese Grenzen werden von den Scharlatanen nicht gesehen.“
Die Undurchsichtigkeiten im Dickicht der Heilsversprechen beginnen schon bei der Begrifflichkeit: Was zählt überhaupt zur komplementären oder integrativen Medizin - und was ist reiner Humbug? Wolfgang Marktl ist Mediziner und Präsident der Akademie für Ganzheitsmedizin (Gamed): Für ihn gibt es verschiedene Zugangswege zur „integrativen Medizin“, wie er sie nennt. Dazu gehöre die traditionelle Medizin, die in einer bestimmten Kultur begründet ist und auf Jahrtausende altes Wissen zurückgehe - die traditionelle europäische Medizin (TEM) oder chinesische Medizin (TCM) sowie Ayurveda zählen dazu. Weiters gebe es andere „Denksysteme“, wie die Homöopathie oder die anthroposophische Medizin - „mit Esoterik hat das aber nichts zu tun, davon grenzen wir uns ab“, sagt Marktl.
Konkurrenzlose Schulmedizin
Seine Idealvorstellung sei ein Zusammenspiel von komplementären Methoden und der klassischen naturwissenschaftlichen Medizin. „In vielen Bereichen ist die Schulmedizin einfach konkurrenzlos“, sagt Marktl. Es gebe aber auch andere Beschwerden, die zum Beispiel aus einer ungesunden Lebensführung heraus entstehen, in denen es den ganzheitlichen Blick auf den Menschen brauche.
Die Verteufelung der Schulmedizin ist sowohl für Marktl als auch für Bhalla und Wolf ein klarer Hinweis darauf, dass man es mit einem Scharlatan zu tun habe. Doch was treibt immer mehr Menschen zu komplementären Methoden und damit auch in das Risiko, bei einem Scharlatan zu landen?
Buchautor Wolf beschreibt eine gesellschaftliche Entwicklung, in der einerseits das Gesundheitsbewusstsein zugenommen hat - gleichzeitig wollen Menschen sich selbst ermächtigen, abseits von einer gefühlten Obrigkeit der Medizin. „Patienten wollen selbst suchend und selbst findend sein“, sagt Wolf. Sie treffen dann auf selbst ernannte Heiler, die Aufmerksamkeit und eine Atmosphäre des Wohlgefühls ausstrahlen - und mit suchenden Patienten ein gutes Geschäft machen.
„Die Medizin hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark spezialisiert und ist dadurch zersplittert“, sagt Gamed-Präsident Marktl. Wo es früher einen Arzt für Innere Medizin gab, gibt es nun viele einzelne Fachbereiche. Das sei im Sinne der Spezialisierung natürlich gut und wichtig - doch Patienten fühlen sich in diesem System oft alleine gelassen und landen bei Anbietern, deren Wissen aus „Wochenendkursen“ stamme, wie Marktl sagt.
Fehlende Ausbildung
Die fehlende Regulierung in der Ausbildung sei ein weiteres Problem: „Wir haben massenweise Nachholbedarf“, sagt Marktl. Bhalla beschreibt: „Oft fehlt das medizinische Grundwissen völlig. Die Anbieter wissen gar nicht, was sie anrichten.“ Komplementäre Heilmethoden sollten laut Marktl Teil des Medizinstudiums werden. Heute gibt es schon Diplome der Ärztekammer für Komplementärmedizin, traditionelle Heilmethoden haben ein Curriculum, das es zu absolvieren gilt.
Laut Bhalla und Wolf sei es aber ein „Trugschluss“ zu sagen: Komplementäre Methoden dürfen nur Ärzte machen. Denn es gebe viel zu wenige Ärzte, die in diesen Bereichen ausgebildet sind. Im Sinne einer Gesundheitsförderung sollten auch andere Berufsgruppen Platz haben. Aber: „Sobald ich einen Gewerbeschein ausgebe, der den Gesundheitsbereich betrifft, muss es eine fundierte Ausbildung und eine Überprüfung der Fähigkeiten geben“, sagt Wolf. Denn: „Ist von Medizin die Rede, muss auch eine medizinische Ausbildung dahinter stehen.“