Der 11. Juli wird für sie immer ein besonderer Tag bleiben. An diesem Tag im Jahr 2014 wurden die Mutter, Erika Petter, und die Tochter, Caroline Leopold, in den Operationssaal geschoben – die Mutter zwei Stunden früher als die Tochter. Als sie beide einige Stunden später wieder aufwachten, hatte Mama Erika eine Niere weniger – und ihre Tochter Caroline hatte „das schönste Geschenk erhalten, das ich mir vorstellen kann“. Erika Petter wurde an diesem Tag zur Nieren-Lebendspenderin. Und ihre Tochter Caroline musste seither nie mehr zur Dialyse.
Seltene Erkrankung
Die Krankheitsgeschichte von Caroline Leopold begann im Jahr 2013, mit einer äußerst seltenen Krankheit, die Goodpasture-Syndrom heißt. „Im Rückblick habe ich festgestellt, dass ich wohl schon ein halbes Jahr krank war, bevor ich die Diagnose bekam“, sagt Leopold heute. Eine Lungenentzündung, große Müdigkeit und Erschöpfung, Übelkeit – lauter einzelne Symptome, die erst mit der Diagnose einen Zusammenhang ergaben. „Diese Autoimmunerkrankung betrifft die Lunge und die Niere“, erklärt Sabine Zitta, Nierenspezialistin am LKH-Klinikum Graz und betreuende Ärztin von Mutter und Tochter. „Während sich die Lunge von der Erkrankung meist gut erholt, tun das die Nieren leider oft nicht“, erklärt Zitta.
So war es auch bei Caroline Leopold: Zwar wurde versucht, mit einer speziellen Therapie die Nierenfunktion zu erhalten. Im Herbst 2013 musste die damals 42-Jährige aber an die Dialyse.
An der Dialyse
„Mir ging es mit der Dialyse besser als anderen“, erinnert sie sich. Sie hatte keine Schmerzen, auch war ihre Ernährung nicht so eingeschränkt, wie das bei anderen Betroffenen der Fall ist. Trotzdem: Drei Mal pro Woche musste sie zur Dialyse ins Krankenhaus, nach vier Stunden an der Blutwäsche war sie „einfach geschlaucht“, erinnert sie sich, das Leben verlief „schaumgebremst“. Während Tochter Caroline mit der Entscheidung rang, ob sie zur Bauchfelldialyse, die man nachts zu Hause durchführen kann, wechseln soll, betrieb ihre Familie ganz andere Pläne.
Diese verkündeten sie Caroline an ihrem Geburtstag: „Mama, Papa und mein Bruder haben sich vor mich hingesetzt und gesagt: Wir werden uns alle drei testen lassen, ob wir als Nierenspender infrage kommen“, erinnert sich Caroline. Schon davor hatten sich die Eltern und der Bruder unabhängig voneinander, aber am gleichen Tag beim Hausarzt informiert, was zu tun ist, um Nierenspender zu werden. Nach den notwendigen Tests am LKH Graz stand fest: Mama Erika ist die beste Kandidatin.
Bis zu ihrem Geburtstag wusste die Empfängerin Caroline nichts von diesen Plänen. „Wir haben auch davor nie über das Thema Lebendspende gesprochen, ich hätte das ja nie erwartet“, sagt Caroline. Doch als sie ihre Familie damit überraschte, hat sie das Geschenk sofort angenommen. „Ich wusste, sie haben sich das reiflich überlegt“, sagt Caroline. „Und ich hätte wohl nicht viel Chancen auf Widerspruch gehabt“, sagt sie und lacht gemeinsam mit ihrer Mama. „Das hat uns alle sehr berührt“, erinnert sich Mama Erika.
Auf Herz und Nieren untersucht
Ein halbes Jahr sollte noch vergehen, bis Mutter und Tochter am 11. Juli 2014 in den Operationssaal kamen. Das war einerseits nötig, damit die Autoimmunerkrankung von Tochter Caroline abklingt, sonst wäre eine Transplantation nicht möglich gewesen. Andererseits wurde Spenderin Erika Petter in dieser Zeit „von Kopf bis Fuß und auf Herz und Nieren“ untersucht. „Um als Lebendspender infrage zu kommen, müssen die Patienten eine lange Liste an Untersuchungen abarbeiten“, sagt Zitta.
Erika Petter hat darüber genau Buch geführt – 45 Stunden waren es insgesamt, die sie mit Untersuchungen verbrachte. Vom Herz-Echo bis zur Vorsorge-Darmspiegelung: „Aber nichts davon war so unangenehm, dass ich es nicht sofort wieder machen würde“, sagt Petter. Ultraschall, CT oder MR des Bauches sowie die Darmspiegelung und die Untersuchung der Haut sind notwendig, um sicherzugehen, dass der Spender keinen bösartigen Tumor hat, erklärt Zitta.
Und natürlich wird auch die Nierenfunktion des Spenders genau bestimmt – diese muss „exzellent“ sein, sagt Zitta, denn nur dann könne man es verantworten, 50 Prozent der Nierenfunktion zu spenden. Erika Petter war eine Musterkandidatin: Sie trinkt keinen Alkohol, isst nicht fett, raucht nicht – ihre Niere war in Topform. „Ich habe das bestmögliche Organ bekommen“, sagt Tochter Caroline. „Es ist, als hätte ich meine Niere so gut behandelt, damit ich Caroline eine Freude machen kann“, sagt die Mama schmunzelnd.
Etwa 15 Prozent der Nierentransplantationen in Österreich kommen von Lebendspendern – der Rest der Organe stammt von Verstorbenen. „Die Nierenspende ist weiblich“, sagt Ärztin Zitta: Am LKH Graz sind 75 Prozent der Spender Frauen – Mütter, die ihren Kindern, oder Ehefrauen, die ihren Partnern eine Niere schenken. Woran das liegt, lässt sich nur vermuten. Zitta sagt: „Frauen ist es von Natur aus gegeben, Leben zu schenken. Vielleicht sind sie daher eher bereit, durch eine Organspende neue Lebensqualität zu schenken.“ Jedenfalls gilt für alle: „Lebendspender sind Helden“, zitiert Zitta den Titel aus einer Fachzeitschrift.
Sollte Frau Petter, die Heldin, einmal selbst durch einen Unfall oder eine schwere Erkrankung zur Dialyse-Patientin werden, wird sie bei Eurotransplant bevorzugt behandelt. Sie müsste als Spenderin nicht so lange auf ein neues Organ warten. „Mir geht es fantastisch“, sagt Petter aber heute. Die ersten fünf Wochen nach der Operation war sie müde und geschlaucht – doch dann konnte sie „von einem Tag auf den anderen wieder alles machen“, erinnert sich Petter.
Taufrische Niere
Auch Tochter Caroline führt heute ein fast normales Lebens: Die neue Niere funktionierte sofort. „Das ist ein Vorteil der Lebendspende, das Organ ist taufrisch und fängt meist schon während der Operation an, Urin zu bilden“, sagt Zitta. Für Tochter Caroline, die Medikamente nehmen muss, die ihr Immunsystem unterdrücken, um eine Abstoßung zu verhindern, ist klar, dass sie nun alles dafür tut, gesund zu bleiben: „Schließlich habe ich das schönste Geschenk in der besten Qualität bekommen.“
Sonja Saurugger