12 Monate im Krebsgang - Chemotherapie, Opera tion, Bestrahlung und ein mühsames Wieder-auf-die-Beine-Kommen. Das ist eine Dichte an Erfahrungen, die dauerhaft prägt. Und tatsächlich auch ihre guten Seiten hat.

Die Diagnose. Mir fällt dazu George Clooney in „Gravity“ ein: ein Mensch im undichten Raumfahreranzug, den es in lebensfeindlicher Atmosphäre durch die Gegend schleudert, während ihm Satellitentrümmer um die Ohren fliegen und die Sauerstoffreserven in den luftleeren Raum hinauspfeifen. Mit einem Wort: Plötzlich ist nichts mehr unter Kontrolle. Wochen vergehen mit dem verzweifelten Versuch, zu verstehen, was da gerade mit einem passiert, was die empfohlenen Behandlungen bedeuten und welche Wahl man überhaupt noch hat. Die Ernüchterung folgt auf dem Fuß: Die zwei Wochen vor dem Start der Chemotherapie reichen nicht für einen Schnellkurs in Onkologie. Was der eigene Körper in den nächsten Monaten zur bevorstehenden Prozedur sagen wird, steht in den Sternen. Immer wieder sagt man sich den Satz: „Was auch kommt an Nebenwirkungen, es sind nur Nebenwirkungen, die Hauptwirkung ist die gegen Krebs.“ Ein lapidares „Vergiss die Statistik“ bleibt als bester guter Rat.

Die anderen. Die eigene Krebsdiagnose tut auch mit den anderen etwas, nicht nur mit einem selbst. Partner, Freunde, Kollegen, Familie, Nachbarn - „die eigene Hilflosigkeit lässt sie die unglaublichsten Dinge tun“, sagt meine kluge Psychoonkologin, die die ganze Bandbreite kennt: Das geht von Menschen, die plötzlich die Straßenseite wechseln, wenn sie einen sehen, bis zu Small-Talk-Giganten, die einem nach der Erkenntnis „Die hat Krebs“ gleich einmal alle Todesfälle der jüngsten Vergangenheit aufzählen. Die eigene Erfahrung lehrt: Krebs kann auch das Beste im Menschen zum Vorschein bringen. Die vielen offenen Arme, in die ich im vergangenen Jahr gelaufen bin, machen es mir fürs restliche Leben warm ums Herz.

Warum ich? Die Frage kommt. Und geht. Man lernt: Sie ist unzulässig. Krebs trifft Dicke wie Dünne, Veganer wie Fleischtiger, Säufer wie Abstinenzler, Pessimisten wie Optimisten, Jung und Alt. „Vergiss die Statistik“, sagt der eigene Verstand. Die Entlastung: Der Krebs, das ist nicht die eigene Schuld. Die Belastung: Nichts ist sicher. Am wenigsten ein Arzt, wenn man ihn nur lange genug fragt.

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Rat und Unrat. Es gibt Sätze, die man ganz schnell nicht mehr hören kann. „Denk positiv“ gehört dazu. „Du musst kämpfen“, „Sei tapfer“ sind aber die Nummer eins auf meiner persönlichen Hitliste. Ein Kampf gegen den eigenen Körper? Ich gegen mich? Erfolgsstrategien sehen anders aus. Viele meiner Leidensgenossinnen erzählen davon, tatsächlich mit ihrem Krebs zu sprechen, ihm sogar einen Namen zu geben. Weil man dieses Tier gar nicht töten muss - schon gar nicht um jeden Preis. Es reicht, den Kerl zu domestizieren. Krebs als chronische Krankheit, damit lebt es sich in vielen Fällen unglaublich gut. Unvergesslich der Satz einer bestens gelaunten Mitpatientin, deren Tumormarker gerade wieder eine Katastrophe waren: „Wissen Sie, ich hab meinen Krebs noch nie ernst genommen.“

Todernst. Krebs und Lachen, das geht für viele gar nicht. Überraschung: Ein Krebswitz pro Tag wird fixer Bestandteil meiner ganz persönlichen Therapie. Trotzdem: Krebs, dieses Wort hat eine ganz eigene Macht. Viele bringen den Satz „Ich habe Krebs“ nach der Diagnose oft tagelang nicht über die Lippen. Weil diese Krankheit noch immer - und allen Aufklärungskampagnen zum Trotz - in unseren Köpfen als tödlich abgespeichert ist. Mir ging's dabei nicht anders. Was half, war das genaue Hinsehen: Was genau macht mir Angst? Was macht mich schwach? Was gibt mir Kraft? Viele Gespenster fallen bekanntlich in sich selbst zusammen, wenn man das Licht aufdreht.

Was bleibt? Seltsam, aber irgendwie ein Leben mit weniger Ballast. Und was eh jeder weiß und alle ständig vergessen, hat sich mir irgendwie in jede Zelle eingebrannt: Es gibt immer nur das Heute. Einfach am Leben zu sein, das ist ein Glück. Auf den Rest bin ich allerdings schon sehr gespannt.