Sergio Canavero ist kein großer Mann. Er trägt Glatze und einen akkurat gestutzten Bart. Der italienische Neurochirurg spricht mit breitem amerikanischen Akzent Englisch, wenn er erklärt: „Natürlich haben mich schon viele für verrückt erklärt. Doch so erging es allen Revolutionären, die sich gegen die gängige Meinung der Wissenschaft stellten.“
Das Projekt, mit dem der gebürtige Turiner Medizingeschichte schreiben will, sprengt die Grenzen der Vorstellungskraft und wirft schwerwiegende ethische Fragen auf: Er will den Kopf eines Patienten mit dem Körper eines Spenders verbinden – einem Menschen damit einen neuen Körper geben.
Erster Patient ein Chinese
Bereits im Jahr 2015 ging Canavero mit dieser Idee an die Öffentlichkeit, nun hat er seine Pläne auch in einem Buch niedergeschrieben, das von einem österreichischen Verlag veröffentlicht wurde. Vor zwei Jahren stellte Canavero auch den Patienten vor, der sich der Operation als Erster unterziehen wollte: Der Russe Waleri Spiridonow leidet an einer seltenen Form des Muskelschwunds, er kann seinen deformierten Körper kaum noch bewegen. Ihm wollte Canavero einen neuen Körper schenken – doch weder in Europa noch in den USA fand er Zustimmung für sein Projekt. Daher ging er nach China – und nun soll der erste Patient ein Chinese sein.
Canavero hat eine Erklärung dafür, warum die westliche Wissenschaft nicht an ihn glaubt: „Die Kopftransplantation ist der erste echte Schritt in Richtung Unsterblichkeit“, sagt er im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Denn nichts weniger ist sein Ziel: Das Altern und den Tod betrachtet er als Krankheiten, die es zu beheben gilt.
Seine chinesischen Kollegen, so erzählt er, würden die Kopftransplantation als medizinisches Vehikel sehen, um Querschnittlähmungen oder Muskeldystrophien zu heilen. Canavero jedoch steht auf einem anderen Standpunkt: Sein Ziel ist die extreme Verlängerung des Lebens.
Verjüngungskur
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf die Canavero sich für dieses Vorhaben stützt, sind weniger als dünn. Er behauptet, durch die Verbindung eines alten Kopfes mit einem jungen Körper würde auch der Kopf wieder verjüngt werden. Tatsächlich gab es Versuche mit alten Mäusen, denen das Blut junger Mäuse injiziert wurde und deren Gehirn wieder besser arbeitete. Auf dieser Basis meint Canavero, dass das auch beim Menschen funktionieren könne.
Die größte Herausforderung, die Heilung des durchtrennten Rückenmarks, will Canavero mit dem Stoff Polyethylenglycol, kurz PEG, gelingen, der wie eine Art Nervenkleber funktioniert. Auch hier gab es vielversprechende Tierversuche, bei denen Ratten, deren Rückenmark mit einem geraden Schnitt durchtrennt wurde, wieder etwas Beweglichkeit zurückerlangten. Aber: Die Wirbelsäulen von zwei verschiedenen Menschen zu verbinden, ist laut dem US-Forscher Jerry Silver „eine komplette Fantasie“.
Auch Michael Mokry, Leiter der Neurochirurgie am LKH-Uniklinikum Graz, sagt: „Es ist heute noch nicht annähernd möglich, ein durchtrenntes Rückenmark wieder zusammenwachsen zu lassen. Daher ist jetzt auch nicht der Zeitpunkt, um einem Patienten ethisch vertretbar eine solche Operation anzubieten.“ Die Fachkollegen, mit denen Mokry über Canaveros Plan gesprochen hat, halten das Vorhaben für „absolut unethisch“. Man dürfe Patienten nur Behandlungen anbieten, die ihnen eine Verbesserung ihrer Lage in Aussicht stellen. „Canaveros Patient ist ein Versuchsobjekt für eine äußerst fragwürdige ,ärztliche‘ Intention“, sagt Mokry.
Menschen-Versuche
Doch die Moral scheint für Canavero keine relevante Kategorie zu sein: In seinem Buch schreibt er, dass die Ethik die Medizin nicht behindern dürfe, dass es nicht die Aufgabe des Chirurgen sei, sich moralisch-ethischen Fragen zu stellen. „Ab einem gewissen Punkt sind in der Medizin Versuche am Menschen unausweichlich“, sagt er im Interview.
Wann genau dieser Versuch stattfinden soll, sagt Canavero nicht. „Das werden die Chinesen verkünden.“ Mit 100 Spezialisten will er die erste Kopftransplantation durchführen. Das Ziel: „Mein Patient soll gehen können. Und Sex haben.“
Sonja Saurugger