1. Wer sind meist die Ersten, die die Anzeichen einer Essstörung bemerken?
„Das sind eigentlich immer Familie oder Freunde“, sagt Theresa Lahousen-Luxenberger, die an der Grazer LKH-Uniklinik für Psychiatrie ein Betreuungsprogramm für Menschen mit Essstörungen ab 18 Jahren aufgebaut hat. Auch Gabriele Haselberger von der Hotline für Essstörungen bestätigt: „Zu Beginn der Erkrankung haben Betroffene wenig Einsicht, dass sie krank sind.“ Der gefährliche Teufelskreis beginnt meist mit einer Diät: Man nimmt erfolgreich ab, bekommt positive Rückmeldungen von anderen, fühlt sich gut - und beschließt, weiter abzunehmen. „Diese Eigendynamik kann schwer zu stoppen sein“, sagt Haselberger.
2. Wer ist vor allem betroffen?
90 Prozent der Betroffenen sind nach wie vor Frauen. Bei Männern und Frauen könne Leistungssport ein Risikofaktor für eine Essstörung sein, sagt Haselberger. Betroffene haben typischerweise ein geringes Selbstwertgefühl, aber zeigen ein hohes Maß an Perfektionismus. Die Krankheit bricht meist in der Pubertät oder im Alter von 17, 18 Jahren aus, sagt Lahousen-Luxenberger. Doch auch erwachsene Frauen können eine Essstörung entwickeln - die Mehrfachbelastung kann ein Auslöser sein.
3. Welche Anzeichen sollte man unbedingt ernst nehmen?
Die ersten Anzeichen sind, dass Betroffene beginnen, das Essen einzuschränken - sowohl in der Menge als auch bei der Auswahl der Lebensmittel (z. B. völliger Verzicht auf Fett oder Kohlenhydrate). „Typischerweise tragen Betroffene Zwiebellook, um den Körper zu verstecken“, sagt Lahousen-Luxenberger. Betroffene nehmen an gemeinsamen Mahlzeiten nicht mehr teil und wenn doch, wird das Essen ewig auf dem Teller hin und her geschoben und in winzige Stücke zerteilt. Außerdem betreiben sie exzessiven Sport, nicht mit Freude, sondern aus Zwang.
Auch das Verhalten ändert sich: Betroffene sind weinerlich und ziehen sich von sozialen Kontakten zurück. Das einzige Thema, das sie noch interessiert, ist das (Nicht-)Essen. Ist die Essstörung von Erbrechen begleitet, können auch lange Aufenthalte am Klo oder gehortete Lebensmittel ein Hinweis sein.
4. Wenn man Anzeichen bemerkt: Wie spricht man das Thema richtig an?
Laut den Expertinnen gibt es kein genaues „Rezept“: Wichtig sei, für so ein Gespräch den passenden, einen entspannten Moment zu finden. Dabei sollte man völlig auf Schuldzuweisungen verzichten, sondern sagen: „Keiner ist schuld und diese Krankheit kann gut behandelt werden.“ Vorwürfe oder Druck, der ausgeübt wird, können dazu führen, dass der Kontakt zum Kind oder zur Freundin ganz abbricht. „Auch den Satz ,Iss doch einfach wieder normal' sollte man vermeiden“, sagt Haselberger. Jedenfalls sollte man sich so früh wie möglich professionelle Hilfe holen (siehe Infobox), denn: „Je früher man Hilfe sucht, desto leichter ist es, die Essstörung zu bewältigen“, sagt Lahousen-Luxenberger.
5. Welche Rolle spielen unbedachte Kommentare zu Aussehen oder Gewicht?
„Kommentare zum Aussehen, zum Essverhalten oder zum Körper sollte man prinzipiell unterlassen“, sagt Haselberger. Gerade für junge Menschen in der Pubertät, die ohnehin mit sich hadern oder an sich zweifeln, könne das ein Auslöser sein, um mit einem problematischen Essverhalten zu antworten. Allerdings: Damit es zu einer Essstörung kommt, spielen immer verschiedene Faktoren zusammen: persönliche, familiäre, gesellschaftliche.