Valentins Mutter ist beunruhigt. Zwei Wochen vor dem Ende der Sommerferien ist der Sechsjährige wie verwandelt. Der sonst so umgängliche Bub ist aggressiv, wütend, schlecht gelaunt und trotzig. Eines Abend fängt er plötzlich heftig an zu weinen. „Ich bin so traurig, dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann“, schluchzt er verzweifelt. Die Mutter ist hilflos und verwirrt. Am nächsten Morgen liegt Valentin glühend heiß im Bett: 39,6 Grad zeigt das Fieberthermometer an. Da schießt ihr ein Gedanke durch den Kopf: „Valentin, ich glaube ich weiß, was du hast: Du hast Angst vor der Schule.“ Erleichtert lächelt der Bub sie an: „Du hast recht, Mama.“
Angst, Angst, Angst
Wie Valentin geht es in den letzten Tagen und manchmal schon Wochen vor Ferienende vielen Schulbeginnern und Kindern, die in eine neue Klasse oder überhaupt in eine neue Schule kommen. Sie haben Angst. Doch wovor genau? Valentin kennt die Schule bereits, er kennt seine neue Lehrerin, kommt mit seinen beiden besten Freunden in die Klasse und kann bereits schreiben und lesen. Scheinbar kein Grund zur Sorge – oder doch?
Nimmt mich das Rudel auf?
„Das Gefühl der Angst ist dem Menschen eingepflanzt“, weiß die Psychotherapeutin Ursula Grohs vom "Kinder -und Jugendtherapiezentrum". Angst ist Stress – und eine bevorstehende unbekannte Situation macht Stress und schürt Urängste: „Nimmt mich das Rudel auf, bin ich anerkannt, habe ich Einfluss auf das Verhalten anderer, werde ich wahrgenommen?“, lauten die zentralen Fragen. Einschlafstörungen, Wesensveränderungen, Bauch- und Kopfschmerzen aus Schulangst - so weit, so normal. Wenn die Angst zu Fieberschüben führt, dann dauert der Stress schon länger an, „dann brennen die Zellen bereits“. Und spätestens dann sollte gezielt gehandelt werden. Doch wie?
Ruhe bewahren, Kuscheln und Reden
"Das Wichtigste ist zunächst, Ruhe zu bewahren, Sicherheit auszustrahlen und dem Kind Worte zu geben. Es ist zu klein, um zu reflektieren, was mit ihm passiert, dazu braucht es unsere Hilfe und unsere Worte", sagt Grohs. Ist die Ursache für die Angst benannt, braucht es starke Führung und einfühlsame Begleitung durch die Bezugsperson - körperlich und seelisch. Grohs: "Helfen können auch beruhigende Düfte wie Vanille, Zitrone, Rose oder Lavendel, mit denen man die Wohnung beduftet. Auch Kräutertees mit Melisse, Johanniskraut oder Salbei wirken gut." Wer der Homöopathie vertraut, kann Notfall-Globuli geben oder Bachblüten und gemeinsam ein Kinderbuch zum Thema Schulbeginn lesen. Wichtig: Kein Stress zu Hause, kein Streit, keine heftigen politischen Diskussionen, keine Aufregung um kranke Haustiere, stattdessen eine entspannte Wohlfühlatmosphäre schaffen.
"Du schaffst das"
"Viel kuscheln, viel reden", rät auch der Kinder- und Jugendpsychiater Christoph Göttl. Einfach die Hand auf den schmerzenden Bauch legen, einen beruhigenden Kräutertee anbieten mit den stärkenden Worten "Der wird dir helfen und dich beruhigen", das Kind in den Arm nehmen und festhalten sind kleinen Gesten, die Wunder bewirken könnnen. Die Angst ist eine Frage des Kindes - die Antwort darauf muss lauten: "Du schaffst das." 90 Prozent beruhigen, zehn Prozent Mut machen.
Einen Talisman mitgeben
"Hilfreich kann sein, dem Kind in die Schule einen Gegenstand mitzugeben, der für die Bindung steht", betont Göttl. Ein Haarband der Mutter als Armband getragen, eine gemeinsam gebastelte oder gekaufte Kette, ein Stofftier oder ein Tuch, das nach Mama oder Papa riecht. Göttl: ""Ist der Gegenstand der richtige, kann er sehr mächtig sein."
Schwimmen macht Spaß
Auch das Kind an ähnliche Erlebnisse zu erinnern, kann gut tun. "Weißt du noch, wie du dich davor gefürchtet hast, im tiefen Wasser zu schwimmen? Dann hast du dich getraut, und jetzt macht es dir Spaß. Schule gehen ist wie Schwimmen im tiefen Wasser." Befolgt man die Tipps, kann diese anscheinend schwierige und anstrengende Phase zu einem sehr wertvollen Erlebnis sein, dass die Bindung und das Vertrauen stärkt und aus dem ängstlichen Erstklässler ein fröhliches Schulkind macht. Externe Hilfe sollte allerdings gesucht werden, wenn die Eltern angesichts der Situation hilflos sind und sie nicht helfen können.
Mission geglückt
Nachdem Valentin vier Abende lang von Weinkrämpfen geplagt wurde, die Mutter viel mit ihm geredet und gekuschelt hat, Duftlampen angezündet, Kräutertees serviert und mit ihm eine kleine Kette - ein Lederband mit einem Delphinanhänger aus Dumortierit, auch bekannt als "Take it easy"-Stein - gebastelt hat, verläuft der fünfte Abend völlig entspannt. Dem Schulbeginn blickt Valentin gestärkt und gelassen entgegen. Mission geglückt.