Sie schreiben, dass Sie dieses Buch verfasst haben, weil Sie genug haben – wovon denn?

FAHMY ABOULENEIN: Dem Einfluss der Pharmaindustrie auf Ärzte und die finanzielle Abhängigkeit, in die Ärzte gedrängt werden.

Über welche Wege passiert diese Einflussnahme?

ABOULENEIN: Ärzte haben eine gesetzliche Fortbildungspflicht, diese Weiterbildung passiert auch über Kongressbesuche, die sehr teuer sind. Pharmafirmen laden Ärzte auf diese Kongresse ein, und jede dieser Einladungen ist damit viel wert, auch im finanziellen Sinn. Das Geld fließt nicht direkt, sondern sehr oft über den Umweg der Einladung. Das ist nur ein Aspekt, die Einflussnahme geht bis in die Forschung.

Autor Fahmy Aboulenein
Autor Fahmy Aboulenein © (c) Lukas Beck

Sie beschreiben auch, dass die Vortragenden auf Kongressen von Pharmafirmen eingeladen werden.

ABOULENEIN: Ja, das ist üblich. Es gibt daher eine Offenlegungspflicht: Der Vortragende muss offenlegen, welche finanziellen Zuwendungen er erhalten hat, damit die Zuhörer die Möglichkeit haben, die Daten auch in einem anderen Licht zu sehen. Denn es ist klar, wenn jemand viele Zuwendungen von einer Firma bekommt, dass das Präparat dann unbewusst besser dargestellt wird.

Sind sich Ärzte dieser Einflussnahme bewusst?

ABOULENEIN: Wir Ärzte meinen, wir sind unantastbar und immun gegen solche Beeinflussungen, da wir ein langes Studium hinter uns gebracht haben und gut ausgebildete Akademiker sind. Manche belügen sich auch einfach selbst.

Sie beschreiben, dass die Rechtfertigung oft lautet: „Alle machen es so“. Machen wirklich alle mit?

ABOULENEIN: Bei Kongresseinladungen kann man nicht von schwarzen Schafen sprechen, das ist die absurde Normalität. Es gibt von der öffentlichen Hand keine Mittel, um die Fortbildungen zum Beispiel über den Dienstgeber zu finanzieren. Da springt die Pharmaindustrie „rettend“ ein und sorgt dafür, dass Ärzte sich fortbilden können. Gleichzeitig gibt es die Meinungsbildner, die für die Pharmaindustrie sehr wertvoll sind: Sie sprechen auf Kongressen und sitzen oft in Fachgesellschaften, die die Leitlinien für Diagnose und Behandlung erstellen. Und sie machen oft bei klinischen Studien mit, die zu zwei Dritteln von der Industrie unterstützt werden. Das Argument ist wieder das gleiche: Die öffentliche Hand kann das nicht bezahlen, deshalb macht es die Industrie.

Sie sind ein Nestbeschmutzer: Können Sie noch weiter im System arbeiten?

ABOULENEIN: Wenn ich angegriffen werde, wird das nur an einer übereilten Reaktion von einigen Verantwortlichen liegen. Bei den Kollegen wird das anders ankommen: Die allermeisten Ärzte machen ihren Job sehr gut. Ich glaube, dass ich das Sprachrohr der überwiegenden Mehrheit bin.

Kann ich denn als Patient überhaupt noch sicher sein, bestens behandelt zu werden?

ABOULENEIN: Wie gesagt machen fast alle Ärzte ihre Arbeit extrem gut. Ich glaube nicht, dass es direkten Einfluss gibt.

Doch wenn Leitlinien von Ärzten herausgegeben werden, die auf der Payroll der Pharmaindustrie stehen, muss man sich fragen, nach welchen Interessen man behandelt wird.

ABOULENEIN: Ich unterstelle hier niemandem etwas, die Arbeit in Fachgesellschaften ist auch ehrenamtlich. Das Problem ist aber, dass nahezu alle Meinungsbildner für zig andere Vorträge etwas bekommen. Daher ist eine meiner zentralen Forderungen, dass die Mitglieder solcher Fachgremien nichts annehmen dürfen – weder für das Gremium noch für irgendetwas anderes.

Man könnte sagen: Pharmafirmen sind gewinnorientierte Konzerne, natürlich schöpfen sie aus, was möglich ist.

ABOULENEIN: Die Industrie arbeitet nach den gesetzlichen Möglichkeiten. Hier fordere ich, dass die Gesetze so eng gestaltet werden, dass jede direkte und indirekte Einflussnahme der Pharmaindustrie auf Ärzte nicht mehr möglich ist.

Das wäre eine grundlegende Revolution im Gesundheitswesen. Wie realistisch ist das?

ABOULENEIN: Sehr realistisch. Ich bin überzeugt, dass sich etwas ändern wird. Mit meinem Buch will ich Bewusstsein in der breiten Öffentlichkeit schaffen, damit der Gesetzgeber sieht, dass es notwendig ist, strengere Gesetze zu erlassen. Hätte ich vorher von den Panama Papers gewusst, hätte ich mein Buch „Vienna Papers“ genannt.

Die Pharmafalle. Wie uns die Pillen-Konzerne manipulieren
Die Pharmafalle. Wie uns die Pillen-Konzerne manipulieren © edition a