Stellen Sie sich vor, Sie waren am Vorabend bei einem Rockkonzert. Oder haben die Nacht in der Disco durchgetanzt. Am nächsten Morgen haben Sie so ein Rauschen im Ohr, das sich aber nach und nach auflöst. Bei Martina Kaiser hat sich ein solches Ohrgeräusch nicht aufgelöst, es hat die Sängerin und ehemalige ORF-Moderatorin während der letzten 25 Jahre begleitet. Ursache war bei Kaiser aber kein lautes Konzert, auch ihr Job war nicht der Auslöser. „Es war ein Knalltrauma“, erzählt sie im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Ein solches kann von Schüssen, Silvesterkrachern oder eben von lauter Musik bei Konzerten verursacht werden.

Vieles hat Kaiser in den folgenden Jahren versucht, gleich zu Beginn wurde ihr im Spital eine Infusionstherapie verabreicht. Über die Zeit hat sie gewissermaßen gelernt, mit dem Tinnitus zu leben. Damit abfinden wollte sie sich aber nicht. „Ich hab vieles ausprobiert, Ginseng etwa, um die Durchblutung zu fördern, aber vieles hat nicht wirklich funktioniert.“ Wurde die Situation akut schlimmer, hat Kaiser immer wieder eine Cortisontherapie durchgeführt, die temporär, für einige Wochen Linderung gebracht hat. „Cortison ist auch das einzige Medikament, das erwiesenermaßen bei Tinnitus wirksam ist“, erklärt Johannes Schobel, HNO-Arzt und Leiter des Tinnituszentrums St. Pölten, beim Gesundheitsfrühstück des Hörakustikunternehmens Neuroth.

Vom Sekundentinnitus bis zum chronischen Tinnitus

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Die Auslöser eines Tinnitus können vielfältig sein. Ein Ohrenschmalzpfropf kann ebenso eine Rolle spielen wie eine Viruserkrankung oder eine Mittelohrentzündung. Auch Störungen der Halswirbelsäule oder Erkrankungen des Kiefergelenks können den ständigen Ton im Ohr zur Folge haben. Wobei ein Hörsturz, Schwerhörigkeit und vor allem eine Schädigung des Innenohrs zu den häufigsten Ursachen zählen. Es gibt unterschiedliche Formen eines Tinnitus, so vergeht der Sekundentinnitus – wie der Name schon sagt –nach kurzer Zeit, dauert er weniger als drei Minuten spricht man von akutem Tinnitus. Dieser kommt häufig vor und ist per se kein Grund zur Sorge. „Wenn ich ein durchgehendes Geräusch länger als zwölf Stunden wahrnehme und mir das nicht erklären kann, dann sollte ich einen HNO-Arzt, eine HNO-Ärztin aufsuchen“, rät Schobel. Ein subakuter Tinnitus dauert zwischen drei und zwölf Monaten, hält er länger an, spricht man von einem chronischen.

Tinnitus-Experte Johannes Schobel, Patientin Martina Kaiser und Neuroth-CEO Lukas Schinko
Tinnitus-Experte Johannes Schobel, Patientin Martina Kaiser und Neuroth-CEO Lukas Schinko © Andreas Tischler

Aufgrund der vielfältigen Ursachen ist eine individuelle Diagnostik notwendig. Diese sollte immer einen Hörtest beinhalten. „Viele Patienten hören zwar noch gut, haben aber in Hochfrequenzbereichen Hörverluste. Auch diese sollte man detektieren und in Folge ausgleichen“, erklärt der Experte. Das macht man mithilfe eines Hörgerätes. Bei Martina Kaiser hat ein solches ihre Lebensqualität massiv erhöht. Am linken Ohr hat sie einen 50-prozentigen Hörverlust, das bedeutet, sie nimmt mit diesem kaum Geräusche wahr. Das gibt ihrem Gehirn wiederum die Möglichkeit, den Tinnitus sehr massiv wahrzunehmen. Durch das Hörgerät dringen aber wieder andere Geräusche in das Hörorgan vor. „So wird mein Tinnitus perfekt ausgetrickst“, sagt Kaiser.

Nur keine Stille

Stille, erklärt der Experte, ist der Feind von Tinnituspatienten. Hörgeräte kann man auch mit einem Noiser kombinieren. „Dieser vermindert durch ‚weißes Rauschen‘ die Wahrnehmung des Ohrgeräusches, das ist eine langfristig wirksame Lösung zur Reduktion eines Tinnitus“, sagt Schobel. Wichtig sei aber, dass die Hörgeräte von den Hörakustikern exakt und individuell auf die Betroffenen abgestimmt sind. Bei Schlafproblemen haben sich auch Stirnbänder mit Lautsprechern als hilfreich erwiesen, damit kann man beruhigende Klänge einspielen, die den Tinnitus maskieren. „Gerade bei Personen, bei denen Tinnitus mit einem Burn-out oder einer Depression einhergeht, ist auch psychologische Unterstützung wichtig“, sagt Schobel.