Bewegung und Sport nehmen in quasi allen Empfehlungen, die sich mit einem langen und gesunden Leben beschäftigen, einen wichtigen Platz ein. Zahlreiche Menschen befolgen diese Empfehlungen auch, gehen Laufen oder Radfahren, trainieren in Fitnessstudios und stemmen Gewichte. Doch gleichzeitig nehmen auch Rückenschmerzen, Gelenkbeschwerden sowie Operationen am Bewegungsapparat ganz allgemein zu. Wieso das so ist, versucht der Sportwissenschaftler und Orthopäde Arvid Neumann in seinem plakativ betitelten Buch „Die Fitness-Lüge“ zu erklären. Nicht jede Art von Bewegung sei per se gesund, sagt Neumann in der aktuellen Episode von „Ist das gesund?“, dem Medizin-Podcast der Kleinen Zeitung.

„Die Art, wie wir uns bewegen, ist das eigentliche Problem, nicht unser Körper“, betont Neumann. Denn: Viele der weitverbreiteten Trainingsansätze können schmerzhafte Beschwerden zur Folge haben – wenn sie eben nicht auf den eigenen Körper abgestimmt sind. Wenn man etwa den ganzen Tag sitzt, aus diesem Grund verspannt ist und dann versucht, einmal oder zweimal in der Woche im Fitnessstudio gegenzusteuern, habe das nicht den gewünschten Effekt. Denn: „Fitness und Gesundheit gehen nicht zwangsläufig Hand in Hand“, sagt Neumann. Tatsächlich gehe es beim Training für die Gesundheit weniger um Leistung und mehr um Bewegungsqualität.

Der Unterschied zwischen Sport und Bewegung

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Neumann unterscheidet klar zwischen Sport und Bewegung – Sport sei gezielt und leistungsorientiert, während Bewegung alltäglich und vielseitig ist. „Wer Sport nur macht, um sich gesund zu fühlen, könnte enttäuscht werden. Denn es ist nicht die einzige und nicht immer die beste Methode, um gesund zu bleiben“, so Neumann. Viele Menschen würden Trainingsanleihen an ihren sportlichen Vorbildern nehmen, also Hochleistungssportlern. Diese Profis sind zwar meist extrem fit, leiden jedoch auch an Verletzungen und Verschleißerscheinungen. „Viele Menschen quälen sich durchs Training, weil sie denken, sie müssten wie ihre Idole trainieren.“ Hinzu kommt, dass oft nur einzelne Muskelgruppen trainiert werden, häufig passiere das beim Krafttraining. Oft werden auch Verspannungen, Schmerzen übergangen, was dann zu schwerwiegenderen Verletzungen führen kann.

Was aber nicht heißen soll, dass man kein Krafttraining machen sollte. Es geht vielmehr darum, sich auf unterschiedlichste Weise zu bewegen. Dazu kann auch Krafttraining gehören, aber eben nicht ausschließlich, rät Neumann. Anstatt immer wieder die gleichen Übungen zu wiederholen, sollte man den Körper in verschiedenen Situationen herausfordern. Beim Gehen, Heben oder Bücken sei es ratsam, den ganzen Körper zu nutzen – so wie Kinder es tun. „Schauen Sie, dass Sie Ihre Bewegungen flexibel gestalten und den ganzen Körper nutzen“, rät der Orthopäde. Wichtig ist zudem, Schmerzen abklären zu lassen, vor allem wenn man schon unter Vorerkrankungen bzw. Fehlstellungen leidet.

Arvid Neumann: „Das Zusammenspiel von Faszien, Muskeln und Knochen entscheidet darüber, wie wir uns fühlen und bewegen“
Arvid Neumann: „Das Zusammenspiel von Faszien, Muskeln und Knochen entscheidet darüber, wie wir uns fühlen und bewegen“ © Elena Reisch/QuerformArt

Wieso die Faszie wichtig ist

Ein wichtiges Element, um das Ziel nachhaltiger Beweglichkeit zu erreichen, ist für Neumann die Faszie bzw. das Fasziensystem. Dabei handelt es sich um ein dreidimensionales Netzwerk an weichen, kollagenhaltigen, lockeren und dichten Fasern des Bindegewebes, diese umschließen Muskeln, aber auch Organe. Sie sind innerhalb des Bewegungsapparates für die Kraftübertragung essenziell und haben auch wichtige Stützfunktionen inne. „Das Zusammenspiel von Faszien, Muskeln und Knochen entscheidet darüber, wie wir uns fühlen und bewegen“, erklärt Neumann.

Trainiert man also eher einseitig oder immer nur bestimmte Muskelgruppen, kann dies zu lokalen Verhärtungen, Verspannungen und Schmerzen führen. Denn das Fasziensystem ist auch schmerzempfindlich. Um Problemen vorzubeugen, rät Neumann, das Bewegungsrepertoire so umfassend wie möglich zu nutzen. Spazieren gehen, wandern, Radfahren, Schwimmen oder Tennis spielen - je abwechslungsreicher, desto besser. Im Alltag bedeutet dies auch, seltener den Lift, dafür öfter die Treppen benutzen. Oder kurze Wege mit dem Fahrrad, und nicht mit dem Auto zurückzulegen. „Bewegung ist die Basis unserer Gesundheit, und unser Alltag bietet die perfekte Gelegenheit, vielseitig aktiv zu bleiben“, so Neumann.