Gender Health Gap und Gender Pain Gap - diese beiden Begriffe beschreiben, dass im Jahr 2024 auch in Bezug auf Gesundheit bzw. Behandlung von Erkrankungen die Unterschiede zwischen Mann und Frau gravierend sind. Diesen männlichen Blick auf die weibliche Gesundheit auszugleichen, dieses Ziel verfolgt die Gendermedizin.

Diese Disziplin hat zahlreiche Problemfelder zu bearbeiten. Eines ist der schon genannte Gender Pain Gap. Dieser besagt, dass körperliche Schmerzen bei Frauen weniger ernst genommen werden als bei Männern. Sie werden auch schneller psychischen Ursachen zugeschrieben. Das zeigt auch eine aktuelle Forschungsarbeit, die im August im Fachjournal „PNAS“ veröffentlicht wurde. Demnach erhalten Frauen in Notaufnahmen weniger Schmerzmittel als Männer, weil das Gesundheitspersonal bei Patientinnen häufiger von Übertreibungen ausgeht. „Überall, wo sich Beschwerden nicht rasch zuordnen lassen, es diffuser, langwieriger wird, wo man differenzialdiagnostisch vorgehen muss, führt es leichter dazu, dass bei Frauen die Beschwerden nicht ernst-, nicht wahrgenommen oder ignoriert werden“, sagt Alexandra Kautzky-Willer, Leiterin der Gendermedizin-Abteilung der Med-Uni Wien.

Prinzipielle Benachteiligung von Frauen

Eine unbewusste, aber dennoch prinzipielle Benachteiligung von Frauen im Vergleich zu Männern sieht auch Kautzky-Willer im Gesundheitssystem. „Frauen werden schlechter behandelt, weil teilweise das Wissen zu frauenspezifischen Problemstellungen nicht vorhanden ist, weil Krankheitsbilder bei Frauen noch nicht so gut erforscht sind“, erklärt die Expertin. Ein bekanntes Beispiel für die unterschiedlichen Symptome ist der Herzinfarkt. Bei Frauen können diese Übelkeit, Erbrechen, Abgeschlagenheit oder auch Rückenschmerzen umfassen, bei Männern ist der klassische Brustschmerz ein häufiges Symptom. Aufgrund der klassischeren Symptomatik wird ein Herzinfarkt bei Männern rascher diagnostiziert – hingegen enden Herzinfarkte bei Frauen laut der Deutschen Herzstiftung öfter tödlich. Ein weiteres Beispiel ist Darmkrebs, der bei Frauen öfter in der rechten Kolonflexur (Dickdarmkrümmung) entsteht, bei Männern eher links. Doch die rechte Kolonflexur ist bei einer Koloskopie schwerer zugänglich. In Folge erhalten Männer schneller eine Diagnose und somit eine raschere Therapie.

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Wissen, das auf einer Vielzahl an Daten aufbaut, kann die Situation von Frauen in der Medizin künftig verbessern. Denn Frauen und Männer unterscheiden sich nicht nur äußerlich, auch gibt es Unterschiede beim Immunsystem, beim Gefäßsystem, in Bezug auf den Stoffwechsel und vor allem auch was das Hormonsystem anbelangt. Hinzu kommen unterschiedliche psychosoziale Faktoren, Vorerkrankungen, verschiedene Ethnien. „Die Gendermedizin versucht all das zusammenzuführen“, sagt Kautzky-Willer.

Alexandra Kautzky-Willer
Alexandra Kautzky-Willer © feel image/Med Uni Wien

„Wir brauchen viel mehr Wissen“

Künftig soll die Medizin also fokussierter werden, nicht den männlichen Blick über Krankheitsbilder, Behandlungen und Therapien stülpen. In der Medikamentenforschung zeigt sich, was sich schon verändert hat, aber auch, wie groß die Luft nach oben noch ist. Bis vor einigen Jahren hat der Standardproband in Medikamentenstudien folgende Maße: Weißer Mann, 35 Jahre, 80 Kilo. Mittlerweile muss in Studien zu Medikamenten, die für beide Geschlechter auf den Markt kommen, auch ein gewisser Prozentsatz an Frauen eingeschlossen werden. Dennoch seien Frauen weiterhin unterrepräsentiert: „Wir müssen froh sein, wenn 25, 30 Prozent Frauen in Studien eingeschlossen sind, selbst wenn sie zu 50 Prozent von der Krankheit betroffen sind“, erklärt Kautzky-Willer. Das sei eine Verbesserung, man sei aber noch nicht dort, wo man hin möchte. Ein Ziel ist es etwa, mehr junge Frauen in solche Studien einzuschließen, denn meistens seien es momentan Frauen, die die Menopause schon hinter sich haben. „Wir brauchen viel mehr Wissen über für Frauen typische Lebensphasen.“