Es ist ein medizinisches Rätsel, das mittlerweile einem wahren Kriminalfall gleicht. Woher kam jenes Virus, das ab Beginn 2020 unser aller Leben verändert hat? Um den Ursprung von Sars-CoV-2 ranken sich Mythen und Verschwörungserzählungen. Seit die ersten Fälle bekannt wurden, haben Forschende versucht, das Rätsel zu lösen. Doch die Maßnahmen zu Beginn der Pandemie und die kaum vorhandene Kooperationsbereitschaft der chinesischen Behörden gestalteten das Unterfangen schwierig.
Nun wurde im Fachjournal „Cell“ eine Studie veröffentlicht, die zu dem Schluss kommt, dass die Pandemie am „Huanan Seafood Market“ in Wuhan „aller Wahrscheinlichkeit nach“ ihren Ursprung nahm. Das würde bedeuten, dass das Virus von Tieren auf den Menschen übergesprungen ist. Die Forschenden werteten das genetische Material von mehr als 800 Proben aus, die ab dem 1. Jänner 2020 auf dem Huanan Seafood Market in Wuhan und in dessen Umgebung gesammelt wurden, sowie die Sars-CoV-2-Gensequenzen von ersten Covid-19-Infizierten Anfang 2020. Die zuvor als Preprint zirkulierte und diskutierte Studie ist erstmals nach Peer Review erschienen.
Auf der Suche nach Zwischenwirten
Die Forschenden begaben sich auf die Suche nach Zwischenwirten. Demnach zeigten die Daten eine erhöhte Sars-CoV-2-Positivität in der Nähe und innerhalb einer Wildtierkäfiganlage. In all diesen positiven Proben aus dieser Käfiganlage konnten die Forschenden DNA von Wildtieren nachweisen, darunter Arten wie Zibetkatzen, Bambusratten und Waschbärhunde, die zuvor als mögliche Zwischenwirte identifiziert wurden. Deswegen argumentieren die Autorinnen und Autoren, dass ihre Daten die Annahme bestärken, dass Sars-CoV-2 durch den Wildtierhandel nach Wuhan gebracht wurde und dort auf den Menschen übergesprungen sei.
Auch Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin, sieht Hinweise für diese Theorie, wenn auch keinen endgültigen Beleg: „Der Grund ist, dass keine Proben direkt von Tieren genommen wurden, sondern dass erst nach Schließen und Ausräumen des Markts Abstrichproben von Oberflächen genommen und getestet wurden. Hierbei besteht immer die Möglichkeit, dass so gefundenes Virus auch von infizierten Menschen stammt.“
Die Lab-Leak-Theorie
Basis zahlreicher Verschwörungserzählungen ist, dass das Virus nicht vom Markt, sondern aus einem nahen Labor stammen könnte. Im Wuhan Institut für Virologie und weiteren Forschungseinrichtungen wurde zum Teil mithilfe von US-Fördergeldern an Coronaviren geforscht. Drosten dazu: „Keine Theorie kann formal ausgeschlossen werden. Zur Markttheorie kamen aber mit der Zeit immer mehr bestätigende Indizien hinzu. Zur Labor-Ursprungstheorie gibt es weiterhin keine wissenschaftlich überzeugenden Belege.“
Dass der letzte Puzzlestein dieses medizinischen Rätsels gefunden werden wird, damit rechnet Isabella Eckerle nicht. Zu viel Zeit sei verstrichen, so die Leiterin der Forschungsgruppe Emerging Viruses der Universität Genf. Dieses Puzzlestück wäre jene Virussequenz, die eine Verbindung zwischen den Vorläuferviren aus Fledermäusen und den Viren der Pandemie darstellt. Es sei möglich, dass nur eine kleine Anzahl an Zwischenwirten für den Übersprung auf den Menschen verantwortlich war. „Wenn man eine solche kleine Zwischenwirt-Population Anfang 2020 gekeult oder bei der Marktschließung vernichtet hat, dann existiert dieses Puzzlestück nicht mehr.“