Die Doris kommt! Hinter der Wohnungstür hört man die trampelnden Schritte, kurz darauf schaut ein breit grinsendes Gesicht durch den Türspalt. Fabian freut sich Doris Prasch zu sehen und zieht sie gleich in sein Zimmer, um ihr das neue Feuerwehrauto zu zeigen. „Na, wie geht‘s dir?“, fragt Prasch, mehr an Fabians Mutter gerichtet. Stuhl und Harn sind in Ordnung, kein Fieber, kein Infekt. Fabian, der bald seinen dritten Geburtstag feiert, macht keinen Mucks, als Prasch in seinen Finger piekst und das notwendige Blut abnimmt. Der kleine Leukämiepatient hat schon viel Schlimmeres ausgehalten. Und er weiß: Bald darf er sich eine Überraschung aus Praschs großem roten Rucksack holen.
Wenn Doris Prasch am Morgen diesen roten Rucksack packt, dann nimmt sie die Ambulanz der Kinderkrebsstation des LKH Graz mit: Blutdruckmessgerät, Mikropipetten für die Blutabnahme aus kleinen Fingern und Fiebermesser wandern in den Rucksack. Aber auch: Fizzers zum Naschen, bunte Armbänder und Matchbox-Autos, denn ihre kleinen Patienten wissen, dass die Doris, wie sie von allen genannt wird, nie ohne Geschenke kommt. Dabei ist Doris selbst das größte Geschenk für die Familien, die sie besucht: Sie erspart ihnen den Weg ins Krankenhaus – an jenen Ort, an dem sie schon zu viel Zeit ihres jungen Lebens verbracht haben.
Zu Hause bleiben statt ins Krankenhaus fahren
Seit zwölf Jahren ist Doris Prasch als mobile Kinderkrankenschwester unterwegs und besucht die kleinen Patientinnen und Patienten der Abteilung für pädiatrische Hämato-Onkologie am LKH-Uniklinikum Graz zu Hause. Finanziert wird dieser Einsatz von der steirischen Kinderkrebshilfe. Vier Autos hat sie in dieser Zeit verbraucht, an drei Tagen pro Woche ist Prasch unterwegs – ihr Radius beträgt ab Graz etwa eineinhalb Stunden, sie fährt bis nach Murau, besucht aber auch Kinder in Kärnten oder im Burgenland. „Ich kenne die Kinder ganz anders als meine Kollegen sie hier in der Ambulanz erleben“, sagt Prasch. Denn durch ihre Besuche können sie dort bleiben, wo sie so lange nicht waren: zu Hause.
Fabian war gerade erst sechs Monate alt, als bei ihm Leukämie diagnostiziert wurde. Als seine Mutter Patricia Schwarz an der Grazer Kinderklinik den Satz hörte: „Ihr Kind hat Krebs“, musste sie sich erst einmal hinsetzen. Gleichzeitig fasste sie aber auch einen Entschluss: „Ich werde mein Kind nicht an diese Krankheit verlieren.“ Heute, im Rückblick auf die letzten zweieinhalb Jahre und die vielen ununterbrochenen Wochen im Krankenhaus, sagt Schwarz: „Ich nicht immer daran geglaubt.“ Fabian wird im Oktober drei Jahre alt, den Großteil seines Lebens hat er gegen den Krebs gekämpft – aber jetzt ist er in der Endphase der Therapie. Daher gibt es für ihn nun auch schon viele letzte Male: Das letzte Mal das Medikament, das die empfindlichen Schleimhäute schützt, das letzte Mal das Antibiotikum, das vor gefährlichen Pilzinfektionen schützt. Gleichzeitig holt Fabian jetzt ganz viel Leben auf: Zwei Mal am Tag ist er mit seiner Mama auf dem Spielplatz, er beginnt zu sprechen, lernt Gemüse- und Obstsorten kennen, die er lange nicht essen durfte. Bald wird er zur Tagesmutter gehen, und seine Mutter zurück in den Job. „Wirst du mir abgehen!“, sagt Doris zum Abschied, denn Fabians Krebsweg wird bald abgeschlossen sein.
„Ich liebe die Arbeit mit meinen Kindern“, sagt Doris Prasch, „wir lachen so viel.“ Aber auch die Eltern werden mitbetreut: „Ich helfe ihnen, zurück in eine Form der Normalität zu finden.“ War das eigene Kind so schwer krank, hat es eine Krebsdiagnose überlebt, eine Chemotherapie durchgestanden, gibt es so viele Ängste. Dann gelte es den Eltern zu zeigen: Eure Kinder dürfen jetzt wieder Kind sein, ihr dürft wieder Familie sein.
Eine mobile Ambulanz für krebskranke Kinder
Eine solche Lebensbegleiterin ist Doris Prasch für den zehnjährigen Wisdom: Sie kennt den Buben mit afrikanischen Wurzeln schon, seit er ein Kleinkind ist. Wisdom leidet an der Sichelzellanämie, einer angeborenen Erkrankung, die seine roten Blutkörperchen schädigt. Die verformten Blutkörperchen können die Blutgefäße verstopfen, was zu starken Schmerzen und zu Nierenversagen oder Herzinfarkt führen kann. „Wisdom hat einen ständigen Sauerstoffmangel, ganz so als würde er im Hochgebirge leben“, erklärt Prasch. Sein Körper hat sich daran angepasst, doch einmal pro Monat kommt die Doris, kontrolliert die Blutwerte, tastet den Bauch des Buben ab. Momentan geht es ihm gut, doch Prasch kennt auch Sichelzellanämie-Patienten, die eine Stammzelltransplantation brauchten, um zu überleben. Auch Patienten mit Bluterkrankungen wie Wisdom werden an der Abteilung für pädiatrische Hämato-Onkologie betreut – und damit auch von Doris Prasch besucht.
Auch wenn sich die Überlebensraten von krebskranken Kindern in den letzten Jahrzehnten dramatisch verbessert haben, auch wenn 80 Prozent der jungen Krebspatienten zu Langzeitüberlebenden werden – nicht alle von Doris Praschs Patienten werden wieder gesund. „Einer meiner Lieblingspatienten liegt gerade im Sterben“, erzählt sie. Was sie noch tun kann, wenn man nichts mehr tun kann? „Ich kann da sein, ich kann die Situation gemeinsam mit den Eltern aushalten, ich kann ihnen die Hand halten.“
Besuch in Schule und Kindergarten
Vieles aushalten, das musste auch Zlata bereits in ihrem jungen Leben. Im Jänner 2023 erhielt die Zehnjährige die Diagnose Leukämie, wenige Monate davor war sie mit ihrer Familie vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchtet. Ihre Haare sind schon nachgewachsen und werfen dunkle Locken, die Intensivtherapie ist vorbei. „Hast du Fieber oder Schnupfen?“, fragt Prasch und erklärt Zlatas Vater auf Englisch, welche Nasentropfen die Tochter braucht. Bald wird Zlata die neue Schule in Graz besuchen, sie ist deshalb schon ziemlich aufgeregt. „Ich geh mit dir mit“, sagt die Doris beruhigend zu der Zehnjährigen, die Papas Hand festhält, während Prasch ihr Blut abnimmt. „Ich lass dich nicht allein.“
Die Doris kommt auch in die Schule und erklärt Schulkollegen, warum der Freund eine Maske trägt oder was das eigentlich ist, so ein Krebs. „Unsere Kinder sind solche Kämpfer“, sagt Doris Prasch über ihre Patienten – sie würden alles dafür tun, in ihrer Klasse zu bleiben und lernen mit, obwohl sie schwerste Therapien durchmachen. Und wenn die Kinder wieder in die Klasse zurückkehren, ist die Doris mit ihrem Schulkoffer dabei und beantwortet die Fragen der Mitschüler: Ist Krebs ansteckend? Wird die Klassenkollegin sterben? „Kinder sind ehrlich und schonungslos.“ Doris Prasch geht dorthin, wo die Kinder sie brauchen, denn sie sagt: „Meine Kinder sollen nicht noch mehr von ihrem Leben versäumen.“