Termine nur am Tagesende, wenn keine anderen Patienten mehr da sind; die Verweigerung einer Mundhygiene; mehrere Handschuhe, die bei einer normalen Untersuchung übereinander angezogen werden: All das sind Vorkommnisse, die Menschen mit HIV im Gesundheitswesen erlebt haben. „In der Behandlung von HIV wurden enorme Fortschritte erzielt, leider hat sich an der Diskriminierung von Betroffenen aber nichts geändert“, sagt Andrea Brunner, Geschäftsführerin der Aids Hilfe Wien. „Laut aktuellen Daten fanden im Vorjahr 70 Prozent aller gemeldeten Diskriminierungen im Gesundheitswesen statt.“ Dass es noch immer viele Vorurteile und Ängste rund um das Thema HIV gibt, zeigt auch eine aktuelle Befragung: In Österreich sind demnach noch immer viele der Meinung, dass HIV-positive Menschen „gefährlich sind“ und sie trotz erfolgreicher Therapie im Alltag ansteckend sein könnten.
Große Ängste und viel Unwissen zu HIV
Bei einer repräsentativen Umfrage unter 1.000 Frauen und Männern waren 21 Prozent der Ansicht, Menschen mit HIV „stellten eine Gefahr für die Gesellschaft dar“. Sechzehn Prozent der Befragten würden keine Freundschaft mit einer HIV-positiven Person eingehen, und zehn Prozent nicht einmal neben einem betroffenen Menschen Platz nehmen.
Unwissen über die Krankheit ist in Österreich laut der Umfrage weit verbreitet: Zwei Drittel glaubt, dass HIV auch unter antiretroviraler Therapie sexuell übertragbar sei. Ein Drittel meint, dass das Virus durch einen Kuss weitergegeben werden kann und zwölf Prozent, dass das gemeinsame Verwenden von Gegenständen wie Gläsern oder Tellern zu einer Infektion führe. „Diese Fehlinformationen stehen im krassen Widerspruch zur Realität“, sagen Experten.
Denn: Bei entsprechender Therapie sei das Virus nicht einmal beim Geschlechtsverkehr übertragbar. Schon gar nicht sei HIV im Rahmen alltäglicher Kontakte übertragbar, erklärt Facharzt Michael Skoll. Möglich macht das die moderne HIV-Therapie: Eine Tablette pro Tag lässt das Virus im Körper meist innerhalb eines halben Jahres bis unter die Labor-Nachweisgrenze sinken, verhindert damit ein Fortschreiten der Krankheit und ermöglicht dem Immunsystem, sich zu regenerieren. Damit steigen Lebenserwartung und -Qualität auf ein normales Niveau.
U=U: Nicht nachweisbar heißt nicht ansteckend
Dass HIV-Betroffene mit der richtigen Therapie nicht mehr ansteckend sind, beschreibt auch das Kürzel U=U: Es steht für „unter der Nachweisgrenze = unübertragbar“. Um auf sexuellem Weg nicht mehr ansteckend zu sein, muss die Viruslast weniger als 50 Viruskopien pro Milliliter Blut ausmachen. Ermittelt wird das mittels PCR-Test.
„Man muss also keine Todesängste mehr haben, wenn man diese Diagnose erhält“, sagt Michael Hofbauer, der vor fünf Jahren die Diagnose HIV-positiv erhalten hat. „Im gesellschaftspolitischen Bereich hinken wir den enormen medizinischen Fortschritten massiv hinterher“, sagte Wiltrut Stefanek vom Verein PULSHIV: „Die Botschaft, dass wir unter HIV-Therapie nicht ansteckend sind, muss viel mehr verbreitet werden“.