Emotionale Momente erlebt Anna Maria Cavini bei ihrer Arbeit viele: Wenn Kinder, die seit Jahren aufgrund ihres Übergewichts Außenseiter waren, mit zwölf Jahren zum ersten Mal einen Freund, eine Freundin finden. Wenn Jugendliche auf einer Bühne Hip-Hop tanzen und vor Selbstbewusstsein strahlen – etwas, das sie sich noch vor einem Jahr niemals getraut hätten, aus Scham über ihren Körper. Wenn Kinder im Wasser des Schwimmbeckens vor Freude kreischen, nachdem sie sich davor schon seit Jahren nicht getraut hatten, einen Badeanzug, eine Badehose anzuziehen, aufgrund ihres Übergewichts. Diese Momente erlebt Anna Maria Cavini als ärztliche Leiterin von „Down & Up“, einer Einrichtung in Kärnten, die Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und Adipositas nicht nur beim Abnehmen begleitet, sondern die Tür für eine gesunde Zukunft öffnet.

250.000 Kinder und Jugendliche in Österreich sind übergewichtig, 40.000 Kinder haben bereits eine krankhafte Adipositas: „Übergewicht ist die größte Bedrohung der Gesundheit im 21. Jahrhundert“, sagt Cavini. Dass es so weit gekommen ist, hat viele Gründe: Die Gene spielen eine Rolle bei der Entstehung von Übergewicht – hat man diese genetische Veranlagung, ist eine Umwelt, in der süßes, hochkalorisches Essen ständig verfügbar ist, „natürlich eine Katastrophe“, sagt Cavini. Auch die Ernährung der Mutter in der Schwangerschaft, das Gewicht der Eltern, das oft ungesunde Essen in Kindergärten und Schulen, die fehlenden Möglichkeiten für Kinder, sich zu bewegen und herumzulaufen: All das sind die Zutaten zu jenem Cocktail, der Übergewicht schon zum Problem der Jüngsten in der Gesellschaft gemacht hat. Und das Fatale daran: „80 Prozent der übergewichtigen Kinder sind auch als Erwachsene übergewichtig“, weiß Cavini – daher werde sie regelrecht aggressiv, wenn sie den Satz höre: „Das wächst sich schon aus.“

Dieses Video könnte Sie auch interessieren

Was das Team von „Down & Up“ anbietet, ist ein interdisziplinärer Ansatz: Kinder und Jugendliche sollen den Spaß an Bewegung wieder finden, sie lernen, was gesundes Essen ist und kochen gemeinsam, aber auch die Psyche wird mitbetrachtet. „Sehr viele unserer Kinder und Jugendlichen haben schon Mobbingerfahrungen gemacht“, weiß Cavini. Manche der jungen Patienten leiden an Depressionen, andere haben Essstörungen wie Binge Eating, wobei es zu unkontrollierbaren Essanfällen kommt. „Bei uns lernen die Kinder und Jugendlichen auch, mit schwierigen Situationen umzugehen und ihren Frust nicht mit Essen zu lindern“, sagt Cavini.

Um eine langfristige Veränderung zu erreichen, werden auch die Familien miteinbezogen: Es wird Wissen über gesunde Ernährung und Bewegung vermittelt, es gibt auch einen gemeinsamen Kochnachmittag und ein Einkaufstraining. Über ein ganzes Schuljahr werden die Kinder und Jugendlichen zwischen acht und 17 Jahren begleitet. Einmal pro Woche wird bei „Down & Up“ gemeinsam gesportelt, gespielt und gekocht. 40 Kinder können an zwei Standorten in Kärnten betreut werden – das Vorzeigemodell soll aber österreichweit ausgerollt werden.

14 Kilo weniger, viele neue Freunde

Wie ein solches Programm das Leben und das Selbstbewusstsein verändern kann, das erzählen die Kinder und Jugendlichen am besten selbst. So wie die 14-jährige Lorena aus Lind ob Velden, die im vergangenen Schuljahr bei „Down & Up“ war. Ihre Eltern hatten ihr vorgeschlagen, sich das Programm einmal anzuschauen – „und es war super“, ist das Resümee der Kärntnerin. Seither habe sie nicht nur sechs Kilo an Gewicht verloren, sie habe auch viele neue Freunde gefunden und an Selbstvertrauen gewonnen. Dieses neu gefundene Selbstvertrauen zeige sich zum Beispiel so: „Wenn wir jetzt baden gehen, dann schäme ich mich nicht mehr. Und ich traue mich auch wieder kurze Hosen anzuziehen.“ Vor „Down & Up“, so erinnert sie sich, habe sie sich in ihrem Körper einfach nicht mehr wohlgefühlt.

Eine Spritze fürs Selbstbewusstsein waren auch die sportlichen Erfolge: „Wir haben Sechs-Minuten-Läufe gemacht und mitgezählt, wie viele Runden wir in der Zeit laufen können. So haben wir gesehen, wie wir uns gesteigert haben“, erzählt Lorena. Auch das gemeinsame Kochen fand die 14-Jährige super – nachhaltig verändert hat sich dadurch auch, wie die Familie zu Hause isst: „Wir kochen jetzt nur noch mit Vollkornprodukten, ich esse auch viel weniger Süßigkeiten“, erzählt Lorena, die in diesem Sommer ein Tanz-Camp besucht hat.

Auch bei der zehnjährigen Jasmin brachte „Down & Up“ viele Veränderungen ins Leben: Ganze 14 Kilo hat sie in der Zeit abgenommen und am liebsten erinnert sie sich an die vielen Bewegungsspiele, die sie mit den anderen Kindern gespielt hat: „Wir haben Basketball und Handball gespielt, haben Parcours gemacht und Feuerball gespielt“, erinnert sich das Mädchen, das mittlerweile die erste Klasse Mittelschule besucht. „Früher, da hab‘ ich nicht so viel mit meinen Freundinnen machen können“, erzählt eine andere Teilnehmerin: Purzelbäume machen oder auf Bäume klettern, das ging nicht. „Aber jetzt kann ich das alles!“ Ein anderer Bub, der teilgenommen hat, erzählt: „Ich habe jetzt mehr Luft beim Laufen und das freut mich voll.“ Und auch der Austausch mit anderen Kindern und Jugendlichen, die die gleichen Probleme haben, hilft: „Die anderen verstehen, wie das ist, wenn man nicht so dünn ist: Dann ist man nicht so allein“, erzählt ein Mädchen. Für eine andere war „das Coolste“ an dem Programm: „Dass auch andere Kinder mit Übergewicht dabei sind und ich das nicht allein schaffen musste.“

Eltern als Vorbilder

Mit dem Programm „Down & Up“ will die ärztliche Leiterin Anna Maria Cavini Kindern und Jugendlichen eine Chance auf ein gesundes Leben zurückgeben: „Je früher wir anfangen, desto besser ist es. Denn je länger Kinder unter Übergewicht leiden, je schwerer sie schon sind, desto größer sind die Schäden, die bereits am Körper entstanden sind und desto schwieriger ist es auch, den Lebensstil zu ändern.“ Cavinis Tipp für Eltern ist: „Wir Eltern sind die wichtigsten Vorbilder für unsere Kinder: Wenn wir gemeinsam gesund kochen, gemeinsam Bewegung machen, spazieren gehen oder Federball spielen, bringen wir unsere Kinder auf einen guten Weg.“