Eine gute Ausbildung und lebenslanges Lernen; Hörgeräte tragen, wenn das Hören schlechter wird; Depressionen effektiv behandeln; nicht Rauchen und zu hohen Blutdruck senken: Das sind nur einige der Empfehlungen, die internationale Experten aussprechen, um das Risiko an Demenz zu erkranken, effektiv zu senken (siehe Infobox). 14 solcher Risikofaktoren haben die Wissenschaftler insgesamt bereits identifiziert, mit denen sich das Demenzrisiko – zumindest theoretisch – um beinahe die Hälfte senken lässt. Neu hinzugekommen sind in der Aufzählung zwei Risikofaktoren, die es ebenfalls zu vermeiden gilt: hohes LDL-Cholesterin und schlechtes Sehen. „Die wichtigste Botschaft ist: Ich habe einen Teil meines Demenzrisikos selbst in der Hand“, fasst Christian Enzinger, Neurologe und Vorstand der Uniklinik für Neurologie in Graz zusammen.
Dass erhöhtes Cholesterin und schlechtes Sehen nun in die Liste der Risikofaktoren aufgenommen wurden, ist für Enzinger „absolut logisch“: „Nehme ich weniger sensorische Empfindungen auf, weil ich schlecht sehe oder höre, wird das Gehirn mit weniger Reizen versorgt, was wiederum den geistigen Abbau begünstigt.“ Der Einfluss von erhöhtem Cholesterin auf die Gehirngesundheit erklärt sich über die Blutgefäße: Unser Gehirn ist auf eine optimale Versorgung über den Blutkreislauf angewiesen. „Daher wirken sich Erkrankungen des Gefäßsystems auch auf das Gehirn aus“, erklärt Enzinger – ein hohes LDL-Cholesterin ist wiederum eine Ursache für die Gefäßverkalkung. Überhaupt lässt sich beim Blick auf die Demenz-Risikofaktoren erkennen: Was gut ist fürs Herz, ist auch gut fürs Hirn. Oder, wie es Stefan Teipel vom deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen ausdrückt: „Zwei Drittel der Risikofaktoren für Demenz sind auch Risiken für das Herz-Kreislauf-System.“
Wie man einen Puffer gegen Demenz aufbaut
Generell sollte, so Enzinger, diese Auflistung der Auftrag an Medizin und Politik sein, mehr in die Gesundheitsvorsorge für das Gehirn zu investieren: Dazu gehören nicht nur Lebensstilfaktoren, wie eine gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung, sondern auch regelmäßige Kontrollen von Blutdruck, Cholesterin sowie Hör- und Sehvermögen beim Hausarzt. „Wir müssen auch wegkommen von der Einstellung, ‚gegen die Demenz kann ich ohnehin nichts machen‘. Ich habe einen Teil meines Risikos selbst in der Hand“, unterstreicht Enzinger. Denn auch wenn ein Teil des Demenzrisikos genetisch bedingt ist: Das Risiko verteilt sich auf das Zusammenspiel verschiedener Gene und kann durch den Lebensstil beeinflusst werden.
Eine zentrale Zeitspanne dabei ist die mittlere Lebensphase, also das Alter von 45 bis 60 Jahren: „In diesen Jahren entscheidet sich, ob es zu den krankhaften Alzheimer-Ablagerungen im Gehirn kommt – oder eben nicht“, erklärt der Experte. Doch auch das, was vor 45 passiert, ist nicht egal: In jungen Jahren geht es vor allem um den Aufbau der sogenannten kognitiven Reserve: Es ist die erstaunliche Fähigkeit des Gehirns, schon vorhandene Schädigungen auszugleichen und trotzdem „fit“ zu bleiben. Erreicht wird dieser kognitive Puffer durch eine gute Ausbildung und lebenslanges Lernen – also durch Dinge, die unser Denkorgan fordern. Denn: Je mehr Verbindungen ich durch Lernen aufbaue, desto länger können demenzielle Veränderungen ausgeglichen werden.
Aber auch im höheren Alter, also nach 65, gibt es Risikofaktoren, die es zu vermeiden gilt: Einer davon ist die Einsamkeit, das Fehlen von Kontakten zu anderen Menschen. Auch hier brauche es gesellschaftspolitische Maßnahmen, um der Vereinsamung im Alter entgegenzuwirken.
Die Wissenschaftler, die ihre Empfehlungen im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht haben, kommen in der Summe aller beeinflussbaren Risikofaktoren zum Schluss, dass sich das Demenzrisiko in der Bevölkerung um 45 Prozent senken ließe, würde man all diese Faktoren meiden. Das ist eine Zahl, die andere Experten bezweifeln, denn: „Es ist keine realistische Annahme, dass alle Risikofaktoren vollständig in der ganzen Bevölkerung verhindert werden können“, sagt Frank Jessen von der Uniklinik Köln. Die Zahl 45 Prozent liege eher am oberen Rand dessen, was man realistisch erwarten könne. Die zentrale Botschaft müsse aber dennoch sein: „Demenzen sind keine Schicksalserkrankungen. Jeder hat es in der Hand, den Verlauf der Erkrankung zu beeinflussen“, sagt Richard Dodel, Geriater an der Universität Duisburg-Essen.