„Also aus meiner Sicht ist es ja auf jeden Fall schon ein Rückschlag für Europa.“ Mit diesen Worten reagierte Elisabeth Stögmann, Leiterin der Spezialambulanz am AKH Wien und Präsidentin der Österreichischen Alzheimergesellschaft, auf die Meldung, dass die Europäische Arzneimittelagentur keine Zulassungsempfehlung für den Alzheimerwirkstoff Lecanemab ausgesprochen hat. Ein Rückschlag für Betroffene wie auch für die Alzheimer-Forschung in Österreich und Europa, so die Expertin.

Die Enttäuschung ist verständlich. Zum einen, weil Alzheimer die am weitesten verbreitete Demenzerkrankung ist. In Österreich sind über 100.000 Menschen von dieser fortschreitenden, aktuell nicht heilbaren Krankheit betroffen. Zum anderen, weil andere Länder, allen voran die USA zu Beginn 2023, Lecanemab schon zugelassen haben.

Entwickelt wurde Lecanemab vom japanischen Pharmaunternehmen Eisai, bei dem Präparat handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der zweiwöchentlich per Infusion verabreicht werden muss. Und zwar in einem sehr frühen Stadium einer Alzheimer-Erkrankung. Nur dann kann er den Krankheitsverlauf bremsen – er kann ihn nicht aufhalten. Infrage käme der Antikörper somit nur für einen sehr begrenzten Kreis von Alzheimer-Patienten, nach Einschätzung von Experten für weniger als zehn Prozent. Die Jahreskosten für eine Therapie mit Lecanemab belaufen sich auf 35.000 Euro.

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Wie der Alzheimer-Hoffnungsträger wirkt

Eine wichtige Rolle bei der Entstehung und im Verlauf von Alzheimer spielen zwei Proteinablagerungen: Plaques aus Beta-Amyloid und Fibrillen aus Tau. Lecanemab setzt genau bei diesen Plaques an, denn der Antikörper greift diese Ablagerungen an. Dadurch kommt es zu Entzündungsreaktionen im Gehirn. Bei manchen Probandinnen und Probanden kam es in der Zulassungsstudie in Folge zu Wassereinlagerungen, Hirnschwellungen oder auch -blutungen. Diese Nebenwirkungen sind ein Grund, wieso die EMA die Zulassungsempfehlung nicht ausgesprochen hat. „In Summe hatten etwa zwei Prozent schwere Nebenwirkungen“, sagt Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Med-Uni Wien.

„Eine gewisse Hirnschwellung wird durch die Wirkweise des Präparats indiziert, tatsächlich haben das die meisten Probanden nicht selbst bemerkt“, sagt Zeitlinger. Zur Erklärung: Die Schwellung wurde bei begleitenden MRT-Untersuchungen festgestellt. „Aber bei etwa einem Prozent der Patientinnen und Patienten ist dieser Zustand symptomatisch geworden.“ In der EMA-Entscheidung hieß es dazu: „dass der beobachtete Effekt des Präparats beim Abbremsen des kognitiven Verfalls das Risiko von ernsthaften Nebenwirkungen (...) nicht aufwiegt“.

Markus Zeitlinger, Pharmakologe an der Med-Uni Wien
Markus Zeitlinger, Pharmakologe an der Med-Uni Wien © Med-Uni Wien

Die Neuzulassung eines Medikamentes ist immer eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Im Fall von Lecanemab kam die US-amerikanische Zulassungsbehörde zu einem anderen Schluss als die europäische. Doch diese Entscheidung bedeutet nicht, dass dieses Medikament in der EU nie auf den Markt kommen wird. Zum einen kann das Unternehmen Einspruch erheben. Zudem ist Lecanemab – unter dem Handelsnamen Leqembi – in den USA ja schon verfügbar und wird auch eingesetzt. Dadurch werden sogenannte Real-World-Daten gesammelt. „Das Unternehmen hat die Möglichkeit, diese neuen Daten oder auch Langzeitdaten aus der eigentlichen Zulassungsstudie nachzureichen. Die dritte Möglichkeit wäre, eine komplett neue Studie zu machen“, erklärt Zeitlinger.