Die EU-Arzneimittelbehörde EMA hat sich in der Vorwoche gegen eine Zulassung des Alzheimer-Wirkstoffs Lecanemab – die erste ursächliche Therapie – ausgesprochen. Das Risiko schwerer Nebenwirkungen des Antikörpers sei höher zu bewerten als die erwartete positive Wirkung. Elisabeth Stögmann, Leiterin der Spezialambulanz am AKH Wien und Präsidentin der Österreichischen Alzheimergesellschaft, sprach am Dienstag im Ö 1-Morgenjournal von einem „Rückschlag für Europa“.
Die Behörde hatte insbesondere auf mögliche Wassereinlagerungen und Blutungen im Gehirn von Menschen verwiesen, die mit dem Präparat behandelt werden. Daher muss eine Therapie regelmäßig mit Untersuchungen per Kernspin (MRT) kontrolliert werden. Der zuständige Ausschuss der EMA entschied, „dass der beobachtete Effekt des Präparats beim Abbremsen des kognitiven Verfalls das Risiko von ernsthaften Nebenwirkungen (...) nicht aufwiegt“.
Im Gegensatz dazu steht Lecanemab – Handelsname Leqembi – in den USA schon seit Anfang 2023 zur Verfügung, um Alzheimer im Frühstadium zu behandeln. Die Therapie bessert zwar nicht die Symptome, kann den Krankheitsverlauf aber in diesem Stadium abbremsen, Studien zufolge um etwa 30 Prozent. Infrage käme der Antikörper nur für einen sehr begrenzten Kreis, nach Einschätzung von Experten für weniger als zehn Prozent der Patienten.
„Ein Rückschlag für Europa“
Laut Stögmann sei es schwierig zu sagen, ob die EMA-Entscheidung richtig oder falsch ist. Aber: „Also aus meiner Sicht ist es ja auf jeden Fall schon ein Rückschlag für Europa, und zwar einerseits auf einer individuellen Ebene für betroffene PatientInnen, die diese Therapie ja potenziell jetzt bekommen hätten können, aber schon auch auf einer wissenschaftlichen Ebene im Sinne des Fortschrittes, weil es doch aus meiner Sicht und auch aus Sicht der gesamten internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft ein Meilenstein in der Therapieentwicklung der Alzheimererkrankung gewesen ist.“
Bezüglich der Nebenwirkungen müsse man laut der Medizinerin differenzieren: Zwölf Prozent der Patienten haben Nebenwirkungen bekommen, nämlich Hirnschwellungen. Bemerkt hätte dies nur ein Drittel, die anderen wurden per Magnetresonanztomografie detektiert. „Das heißt, sie haben diese Nebenwirkungen nicht bemerkt und wirklich schwer wirkende Nebenwirkungen sind in ein bis zwei Prozent der Menschen aufgefallen. Da muss man sicher genau hinschauen, aber es ist doch ein geringer Prozentsatz, der und zusätzlich auch noch, wenn man eine bestimmte genetische Risikokonstellation beachtet und eine gute Bildgebung macht, auch nochmal minimiert werden könnte.“
Eine Frage der Abwägung
Wird ein neues Medikament durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA abgelehnt, steht dahinter immer eine Abwägung, sagte Markus Zeitlinger, Leiter der Abteilung für Pharmakologie an der MedUni Wien, ebenfalls im Ö 1-Morgenjournal. „Und in diesem Fall war es eben so, dass diese Kombination zu keinem positiven Nutzen-Kosten-Verhältnis geführt hat.“ Zeitlinger: „Ich finde das schon sehr wichtig, dass man in Europa hier unabhängig agiert. Ich möchte jetzt gar nicht sagen, war die Entscheidung der FDA richtig oder war die Entscheidung der EMA richtig, aber ich finde sehr wichtig, dass man das differenziert sich anschaut, weil das, glaube ich, schon auch wichtig ist für die Patientinnen und Patienten zu sehen, dass man sich sehr wohl den Kopf zerbricht und nicht weil ein Dominostein fällt sozusagen alle andere dem nachgehen, unabhängig davon, ob diese Entscheidung jetzt richtig oder falsch ist.“