Die Fußball-EM 2024 bringt nicht nur Freude oder Enttäuschung mit sich – je nachdem, welcher Mannschaft man die Daumen drückt. Sie kann durchaus auch gesundheitliche Folgen haben. Und zwar in Form eines um mehr als das Doppelte erhöhte Herzinfarktrisikos. Das haben Kardiologen des Universitätsklinikums München-Großhadern bereits im Vorfeld der EURO 2008 im „New England Journal of Medicine“ berichtet. Grundsätzlich sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache in Österreich, wie wir hier berichtet haben.
Die deutschen Herzspezialisten hatten die Einsatzprotokolle von 24 Notarztstandorten im Großraum München während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 (9. Juni bis 9. Juli 2006) ausgewertet. Demnach ist das Zuschauen beim Kampf um Ball und Tore für Männer deutlich gefährlicher. Wie die Studienautorin Ute Wilbert-Lampen und ihre Co-Autoren schrieben. Bei ihnen steigt das Risiko für Infarkte auf das 3,26-Fache, bei Frauen auf das 1,82-Fache. Zum Vergleich dienten den Medizinern Herzanfall-Zahlen aus Zeiträumen, in denen die deutsche Nationalmannschaft nicht um den begehrten goldenen Pokal gekickt hatte, zum Beispiel vom 1. Mai bis 8. Juni 2006 und vom 10. Juli bis 31. Juli 2006. Die meisten Notfälle ereigneten sich in den ersten beiden Stunden nach dem Beginn des Spiels, berichteten die Ärzte.
Plötzlicher Herztod
Dass Aufregung vor dem TV-Bildschirm wegen solcher Fußball-Großereignisse – derzeit auch mit vielen Österreichern, die um den Erfolg der Nationalelf unter Ralf Ragnick zittern – mit mehr Fällen von plötzlichem Herztod zusammenhängen, ist wissenschaftlich bereits sehr gut belegt. Schweizer Kardiologen aus Lausanne hatten dazu bereits Daten bei der Fußball-WM des Jahres 2002 gesammelt. „Unsere Studie zeigt einen Anstieg der Fälle von plötzlichem Herztod außerhalb der Spitäler in der Bevölkerung der Erwachsenen in der Schweiz während der FIFA-WM des Jahres 2002 im Vergleich zur selben Periode im Jahr 2001“, erklärte Eugene Katz dann beim Europäischen Kardiologenkongress 2003 in Wien. In der Schweiz war eine 60-prozentige Steigerung der Herztodesfälle außerhalb der Spitäler registriert worden. Zuvor hatte im ebenfalls fußballbegeisterten England eine Wissenschaftergruppe am 30. Juni 1998, als Englands Equipe gegen Argentinien verlor, eine plötzliche Erhöhung der Zahl der akuten Herzinfarkte um 25 Prozent festgestellt.
Ein Mix aus Risikofaktoren
Wahrscheinlich ist ein Mix aus Risikofaktoren für den Anstieg an Herzinfarkt und Co. bei Fußball-Großereignissen verantwortlich. Eugene Katz begründete das Phänomen so: „Wir interpretieren das als einen Anstieg durch psychischen Stress, Alkohol, Tabak und verringerte medizinische Betreuung bzw. auch verringerte körperliche Aktivität der Fußballanhänger. David Leistner, einer der Autoren der Münchener Studie aus dem Jahr 2008, jetzt Direktor des Herz- und Gefäßzentrums der Medizinischen Klinik 3 und der Universitätsmedizin Frankfurt/Main, wurde im Deutschen Ärzteblatt so zitiert: „Ich denke, was kausal dem Massenereignis ‚Fussball-Turnier‘ und dem damit verbundenen Stress – positiv wie negativ – zuzuschreiben ist, ist schwer zu klären. Vermutlich ist die Summation aus wenig Schlaf, Lärm, Feinstaub, ungesunder Lebensweise und eingeschränkter Compliance (unregelmäßige Einnahme von Blutdruckmedikamenten etc.) plus der Aufregung des Turniers eine Konstellation, die in Summe die Herzgesundheit negativ beeinflusst.“
Wer besonders vorsichtig sein sollte
Vorsichtig sollten vor allem Menschen sein, die bereits eine Herz-Kreislauf-Erkrankung haben. „Blutdruckspitzen, Fastfood, Alkoholkonsum, Schlafmangel, vergessene Tabletten - das kann für vorerkrankte Herzen eine Herausforderung sein“, mahnte Leistner und riet, eine konsequente Medikamenteneinnahme sicherzustellen. Die ärztliche Beratung sollte darauf ausgerichtet sein, Betroffene beispielsweise zur Blutdruckmessung vor dem Public Viewing zu motivieren und bei hohen Werten entsprechend zu reagieren.
Es sei jedenfalls besser, selbst Sport zu betreiben, als sich nervlich und herzmäßig vor dem Bildschirm oder Public-Viewing-Wand aufzureiben, meinte im Jahr 2021 ein Kardiologenteam unter Miguel Maturana von der Universität Tennessee (Memphis/USA) in einem Übersichtsartikel in der Zeitschrift „Current Problems in Cardiology“. Es gebe allerdings Hinweise darauf, dass ein Sieg der eigenen Mannschaft das Herzrisiko senke.