Zwei Jahre lang schlug dieses Buch niemand auf, wollte niemand darin lesen. Zwei Jahre lang setze es Staub an, unberührt, weil der Inhalt für die Autorin zu schmerzhaft war, um ihn zu lesen. Aber dann kam der Tag, an dem sich Martina Edlinger dachte: „Ich bin so weit.“ Das Buch wurde hervorgeholt, der Staub weggeblasen und der Inhalt von seiner Schreiberin erstmals wieder gesichtet.
Bei diesem Buch handelt es sich um keinen Roman, keine Liebesgeschichte, keinen Krimi. Es ist Martina Edlingers Chemotagebuch. In diesem dokumentierte sie ihr Leben nach der Krebsdiagnose, während der Therapien, bis hin zum erleichternden Satz: „Sie sind krebsfrei.“ Der Obersteierin war es damals wichtig, alles aufzuschreiben. Doch die Zeit der Krankheit war traumatisierend für die heute 50-Jährige: „Nach so einer Diagnose hat jeder Mensch erst einmal Todesängste“, sagt sie heute.
Verarbeiten und Weiterhelfen
Zwei Jahre wollte sie nichts darüber lesen, wie sie sich in diesen Tagen gefühlt und was sie gedacht hatte. Erst nach dem schrittweisen Aufarbeiten des Erlebten wurde ein Blick in das Tagebuch möglich. Heute sind die Geschichten und Gedanken, die darin zu lesen sind, für alle sichtbar gemacht worden. Denn Martina Edlinger hat ein Buch herausgebracht. Dort finden sich ihre Erinnerungen an diese Zeit in der fiktiven Krankheitsgeschichte der Protagonistin Mirka.
Aber warum ist eigentlich aus diesen Erinnerungen nun ein Buch entstanden, wenn sie zuvor sogar zu schmerzhaft waren, um sich damit auseinanderzusetzen? Martina Edlinger erklärt: „An diesem Punkt war ich dafür bereit und es war für mich eine Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten. Außerdem glaube ich, dass sich sehr viele Frauen in dieser Geschichte wiederfinden – und dadurch vielleicht auch ein bisschen Trost durch das Lesen erhalten können. Denn manchmal ist es gut und wichtig zu hören, dass die Diagnose kein Todesurteil sein muss.“
Für Martina Edlinger begann ihre Krankheitsgeschichte an einem ganz normalen Tag, an dem sie keinesfalls mit einem lebensverändernden Ereignis rechnete. „Ich war Radfahren und bin mich danach duschen gegangen. Und irgendwie habe ich mich beim Duschen komisch gedreht. Dadurch ist mir ein Knoten in der Brust aufgefallen“, erinnert sie sich. All das passierte an einem Wochenende, weswegen die Steirerin erst am Montag zum Arzt konnte. Da sie den Samstag und Sonntag damit verbrachte, viel zu googeln und im Internet nachzulesen, hatte sie schon vor der Untersuchung das Gefühl, dass es sich bei dem Knoten um etwas Bösartiges handeln dürfte.
Die folgenden Untersuchungen und die anschließende Diagnose brachten den nächsten Schock: Der Knoten in der Brust war nicht alles. Beide Brüste waren betroffen und Martina Edlinger hatte zwei unterschiedliche Arten von Brustkrebs. Sie erinnert sich: „Deswegen haben wir mit unterschiedlichen Behandlungen begonnen, weil die beiden Krebsarten auf verschiedene Methoden reagieren.“ Für die Steirerin folgten somit in den nächsten Jahren eine Operation sowie Chemo- und Hormontherapien.
Spuren, die bleiben
„Während der Chemo ist es mir körperlich ganz schlecht gegangen. Ich konnte fast nur mehr sitzen. Wenn ich ein paar Schritte gegangen bin, war es schon zu viel.“ Das Schlimmste war für die damalige Patientin aber die sogenannte Polyneuropathie, die als Nebenwirkung der Chemotherapie auftrat. Bei dieser Erkrankung verändert sich die Sinnesreizweiterleitung an das Gehirn. Bei Martina Edlinger wirkte sich das vor allem durch starke Schmerzen in den Fingern und Füßen aus. Die letzte Chemo musste deswegen sogar abgebrochen werden.
Erfolgreich waren die Therapien dennoch: Die Steirerin gilt mittlerweile als krebsfrei. Spurlos an ihr vorübergegangen ist diese Zeit jedoch nicht. Die Nervenschmerzen sind geblieben. Ihren Job hat sie während der Erkrankung verloren. Aber mittlerweile ist sie dabei, zurück ins Leben zu finden. Ein neuer Beruf bringt ihr Freude und ihr Buch soll ein weiterer Schritt Richtung Bewältigung sein. „Aber so eine Zeit hinterlässt einfach Spuren. Wenn man ein kleines Wehwehchen hat, denkt man schnell: ,Hoffentlich geht es jetzt nicht wieder los!‘“
Trotzdem überwiegen für Martina Edlinger die schönen Dinge im Leben: ihre Familie, die Freunde, der Zuspruch. Anderen Betroffenen will sie Mut machen: „Es ist extrem schwierig, wenn man eine Situation vor sich hat, auf die man nur wenig Einfluss hat. Aber es kann sich dennoch lohnen, alles zu tun, um dem gewünschten Ziel der Heilung näherzukommen.“ Angehörigen von Patientinnen rät sie, nicht mit Floskeln, um sich zu werfen: „Es kann anstrengend sein, wenn dir ständig jemand sagt, dass am Ende alles gut wird. Weil, das kann man einfach nicht wissen.“ Besser sei es, Hilfe anzubieten und bei den Betroffenen einfach nachzufragen, was ihnen guttun würde.
Martina Edlinger ist auf jeden Fall bereit, sich wieder ganz ins Leben zu werfen. Im Gespräch mit der Kleinen Zeitung war ihr zum Ende vor allem noch eines wichtig: „Bitte weisen Sie Frauen darauf hin, zur Mammografie zu gehen. Das kann wirklich Leben retten!“