Bekommt ein Nahrungsmittel das Label „Superfood“ verpasst, sollte man vorsichtig sein. Denn es handelt sich dabei um einen reinen Marketingbegriff, für den es keine offizielle Definition gibt. Und: Die gesundheitliche Wirkung für den Menschen ist bei den so betitelten Wirkstoffen meist nicht oder kaum wissenschaftlich untersucht. Gepaart mit Social-Media-Hypes entstehen mitunter fragwürdige Trends, die wohl gut gemeint sind, aber gesundheitlich nicht unbedenklich sind.
Ein solcher schwappt aktuell aus den USA gerade zu uns herüber. In diesem wird Rohmilch zum neuen Superfood ausgerufen. Denn die Inhaltsstoffe von Rohmilch, etwa Enzyme, könnten Verdauung und Immunsystem positiv beeinflussen. Häufig wird auch angemerkt, dass Rohmilch auch kein Industrieprodukt sei und deswegen „natürlicher“. Besonders hervorgehoben werden die positiven Aspekte für Schwangere. Demnach sollten vor allem werdende Mütter Rohmilch trinken.
Gefährliche Erreger in Rohmilch
Doch Fachleute widersprechen diesem Trend nicht nur, sie warnen ausdrücklich davor. Den bei Rohmilch handelt es sich um unbehandelte Milch, weder wird sie mikrobiologisch kontrolliert noch wird sie erhitzt, um Erreger abzutöten. Aus diesem Grund kann Rohmilch neben zahlreichen Nährstoffen auch Krankheitserreger enthalten. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Listerien, auch E.Coli-Bakterien können enthalten sein. Diese verursachen bei Menschen mit einem intakten Immunsystem Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall. Ebenso auftreten können Salmonellen oder Campylobacter-Bakterien. Aber auch multiresistente Keime können in Rohmilch vorkommen. Das Problem ist hier, dass sie medikamentös nicht behandelt werden können, da diese Keime zum Beispiel gegen Antibiotika resistent sind.
Ein Problem können diese Erreger in Rohmilch für Menschen werden, deren Immunsystem nicht oder nicht mehr perfekt arbeitet. Dann bleibt es nicht beim Durchfall, im schlimmsten Fall besteht Lebensgefahr. „Das kann Personen betreffen, die eine Chemotherapie machen, ältere Menschen, Kinder und Kleinkinder und auch Schwangere“, erklärt Fritz Treiber, Ernährungsexperte und Molekularbiologe an der Universität Graz. Schon bisher wurde Rohmilch und Rohmilchkäse wird von Fachgesellschaften für werdende Mütter nicht empfohlen. Denn enthaltene Erreger können für sie selbst, aber auch für das ungeborene Kind gefährlich werden. Rohmilchhartkäse, etwa Parmesan, gilt hingegen als unbedenklich.
Um die Erreger abzutöten und auch um die Haltbarkeit zu verlängern, wird Milch seit dem 19. Jahrhundert pasteurisiert. Das bedeutet, die Milch wird bei dem auch Kurzzeiterhitzung genannten Verfahren zwischen 15 und 30 Sekunden auf 72 bis 75 Grad Celsius erhitzt. „Ich sehe keinen Grund, wieso man einen Rückschritt machen sollte zu einer Zeit, bevor die Pasteurisierung erfunden wurde“, sagt Treiber. Wichtige Nährstoffe, wie Kalzium, bleibe auch in pasteurisierter Milch enthalten.
„Wenn man über Rohmilch zurück zu den Wurzeln möchte, muss man auch die gesundheitlichen Symptome bzw. Folgen in Kauf nehmen, die es damals gab“, gibt Treiber zu bedenken. Alle Nährstoffe, die in Rohmilch vorhanden sind, die für einen gesunden Körper notwendig sind, können über eine ausgewogene Ernährung abgedeckt werden. Rohmilch ist also nicht notwendig um einen bestimmten Bedarf zu decken. „Alles andere, das in diesem Zusammenhang angepriesen wird, geht schon in Richtung einer falsch verstandenen Natürlichkeit oder Esoterik“, sagt Treiber.
Möchte man regionale Bauern unterstützen, die Rohmilch ab Hof anbieten, kann man das durchaus tun. „Man sollte aber die Milch abkochen“, rät Treiber. Die Milch sollte dabei für mindestens 20 bis 30 Sekunden auf mindestens 72 Grad Celsius erhitzt werden, Treiber rät aber, diesen Zeitraum zu verlängern, um auf der sicheren Seite zu sein. Grundsätzlich sollte man Milch in Maßen konsumieren. „Aber ein Glas Milch pro Tag im Erwachsenenalter stellt überhaupt kein Problem dar“, sagt der Experte.